Rezension

Gelungenes Debüt mit einem tollen Sprecher

Der Kreidemann, 6 Audio-CDs - C. J. Tudor

Der Kreidemann, 6 Audio-CDs
von C. J. Tudor

Bewertet mit 5 Sternen

Gestaltung
Devid Striesow interpretiert die Geschichte und ist als Sprecher eine sehr gute Besetzung. Er hat eine helle Stimmfarbe, die gut zu unserem Ich-Erzähler Eddie passt. Devid Striesow hat bei Der Kreidemann eine kleine Herausforderung: Er muss Eddie als 12-jährigen und als Erwachsenen interpretieren. Und hier passt die helle Stimmfarbe des Schauspielers wirklich gut, da er beide Perspektiven glaubhaft darstellt. Außerdem sticht seine Stimmfarbe hervor und hat einen Wiedererkennungswert. Mich erinnerte sie sehr an Hape Kerkelings Lesung von Ich bin dann mal weg, obwohl beide Handlungen absolut nichts miteinander zu tun haben. Das machte mir noch einmal bewusst, dass der Schauspieler die Rolle von Kerkeling im gleichnamigen Film sicher gut verkörpert.

Devid Striesow interpretiert die Kindheits- und die Erwachsenenperspektive wirklich gut, aber für einen Thriller auch vergleichsweise schlicht, was mich aber nicht störte. Der Kreidemann ist für mich kein reiner Thriller, sondern erinnert mich mehr an ein Jugendbuch mit Thriller Elementen. Erst bei den letzten Minuten findet eine Veränderung von Striesows Interpretation statt, was aber auch daran liegt, dass unser Protagonist eine Veränderung durchmacht. Hier kam etwas Bedrohliches durch, das mir sehr gut gefallen hat, weil es uns Hörer mit der Frage zurücklässt was real und was Fiktion ist.

Der Kreidemann wurde als gekürztes Hörbuch produziert. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich die Kürzungen groß auf die Handlung auswirken. Hier und da gab es ein paar Aspekte, über die ich gerne mehr gelesen hätte, es kann aber auch sein, dass diese in der Buchvorlage ebenfalls keine große Rolle spielen.

Inhalt
Wie bereits erwähnt, wird Der Kreidemann aus zwei Perspektiven erzählt. Erst einmal baut C. J. Tudor die Handlung mit einem düsteren Prolog auf, der mich neugierig auf das Abenteuer gemacht hat.

Nun komme ich aber wirklich zu den zwei Perspektiven: Wir erleben Ich-Erzähler Ed in der Gegenwart und blicken mit ihm zurück in seine Kindheit. Nämlich als der 12-jährige Junge gemeinsam mit seiner (fast) vollständigen Clique eine Leiche fand. Zerstückelt. In einem Wald. Wer jetzt glaubt, wir erleben hier einen blutigen Horrorroman, den kann ich etwas beruhigen: Ja, es wird Blut fließen und auch weitere Körperteile bleiben nicht da, wo sie sein sollten, aber C. J. Tudor verzichtet auf ausführliche und detaillierte Beschreibungen. (Mehr dazu aber im Schreibstil).

Mir haben die beiden Handlungsstränge sehr gut gefallen, weil sie gekonnt miteinander verwoben sind. Es wurde nicht nur Spannung aufgebaut, indem die Autorin zwischen den beiden Handlungssträngen variierte, sondern die beiden Handlungsstränge ergänzten sich auch. Das Tolle ist, wir entdecken Der Kreidemann Stück für Stück und zum Schluss passen beinahe alle Puzzleteile zusammen und es wird dennoch nicht unrealistisch.

Kommen wir nun zu unseren Charakteren: Durch die beiden Handlungsstränge werden diese sehr gut eingeführt und beschrieben. Ich-Erzähler Eddie nimmt uns im Kindheits-Handlungsstrang mit in seine Welt. Er beschreibt beispielsweise für ihn wichtige Menschen wie beispielsweise seine Eltern oder seine Clique, aber nicht unbedingt, wie er emotional zu ihnen steht, sondern welche Handlungen sie kennzeichnen und wie er diese Handlungen deutet. Und schon durch das Beschreiben der Handlungen können wir Rückschlüsse auf die Charaktere ziehen.

Eddies wichtigste Bezugspersonen sind seine Clique bestehend aus Fat Gave, Eddies bestem Freund, Metal Mickey, wegen seiner großen Zahnspange, Hoppo und - dem Mädchen - Nickey. C. J. Tudor hat die unterschiedlichen Charaktere hier sehr gut herausgearbeitet: Nickey ist nicht etwa ein typisches Mädchen, welches mit Puppen spielt und sich kaum in der Natur aufhält, sondern eher eine Amazone. Sie ist schlagfertig und schreckt nicht vor einer Prügelei zurück, weiß aber auch, wo ihre Grenzen sind.

Fat Gave ist der Anführer der Clique. Er gibt den Ton an. Freundschaft ist ihm aber besonders wichtig. So sagt er einmal zu Eddie, dass Freunde das Wichtigste seien und man für sie da sein soll.
Lange weicht ihm Metal Mickey nicht von der Seite. Eddie und Hoppo bilden die Schlusslichter. Sie sind treu, erheben aber keine Ansprüche aus dem Schatten der Anderen zu treten.

Spannung
Der Spannungsbogen war durch die beiden Handlungsstränge sehr gut aufgebaut. Gleich zu Beginn der Geschichte erfahren wir, dass es eine Tote gibt, sodass die Frage aufkommt, wer es sein wird und ob oder wie die Clique in den Mordfall verstrickt ist.

Allerdings schien mir der Spannungsbogen nicht einwandfrei aufgebaut. Ich hatte den Eindruck, dass C. J. Tudor gerne dafür gesorgt hätte, dass wir einen bestimmten Charakter des Mordes verdächtigen. Allerdings kam dieser Charakter, dem Ed in der Geschichte den Spitznamen Kreidemann gibt, viel zu harmlos rüber und stellte aus meiner Sicht eher einen Nebencharakter der Geschichte dar. Er bringt zwar die Kreide ins Spiel, mir fehlte hier aber der Moment, in dem er den Kindern das Kreide malen nahe bringt und sie von den Kreiden-sind-uncool zu Kreiden-sind-cool wechseln.

Hier gab es einen relativ großen Bruch in der Geschichte, da wir unsere Charaktere erst wiedertreffen, als die Kreiden wieder out werden. Daher hat mir die Verbindung zwischen Kreiden, Mord und dem Kreidemann etwas gefehlt.

Aber die Geschichte rund um den Mord stimmte für mich total. Ich hatte keine Ahnung, wer das Mädchen ermordet haben könnte und hätte auch nicht mit dieser Auflösung gerechnet. Toll finde ich hier, dass C. J. Tudor keinen Charakter umsonst in die Geschichte eingeführt hat und jeder ein wichtiges Puzzleteil darstellte.

Schreibstil
Durch die zwei Perspektiven nimmt C. J. Tudor auch zwei Schreibstile ein. Ed als Erwachsener ist natürlich viel reflektierter. Er schmückt die damaligen Erlebnisse aus, beschreibt, wie er sich gefühlt hat und welche Auswirkungen die Ereignisse auf sein jetziges Leben haben.
In der Kinderperspektive ist sein Denken einfacher. Er nimmt Konflikte zwar wahr, jedoch haben nur die Konflikte für ihn eine wichtige Bedeutung von denen er auch unmittelbar betroffen ist.

C. J. Tudor beschreibt Der Kreidemann aus der Ich-Perspektive. Und dieses Element sorgte dafür, dass die beiden Perspektiven fließend ineinander übergegangen sind und das es keinen großen Bruch zwischen der Kinder- und der Erwachsenenperspektive gab. Außerdem baute die Autorin wichtige Informationen scheinbar harmlos in einen Nebensatz ein. Gerade gegen Ende als die Geschichte aufgelöst wurde, hatte ich den Impuls Der Kreidemann am liebsten nochmal hören zu wollen, um auch ja alle Hinweise selbst erkennen zu können.

Gesamteindruck
Als mir 2017 bei der Buchmesse von Der Kreidemann erzählt wurde, war meine Vorfreude ziemlich groß. Die Geschichte wirkte interessant und ich witterte ein großes Abenteuer. Und schon nach wenigen Minuten konnten Devid Striesow und C. J. Tudor mich für sich gewinnen.

Der Kreidemann stellt eine Mischung aus Jugendbuch und packendem Thriller dar. Als Thriller bezeichne ich das Hörbuch, weil die Stimmung innerhalb der letzten Minuten nochmal ordentlich kippt und wir eine völlig neue Perspektive bekommen, mit der ich absolut nicht gerechnet hätte.

Da es doch einige blutige Stellen gibt, würde ich das Hörbuch wahrscheinlich ab 16 Jahren empfehlen. Außerdem erinnerte mich die Handlung an den Film Stand by me, der von einer Stephen King Vorlage stammt. Hier sucht eine Clique von Jugendlichen eine Leiche. Warum? Weil das ihr erstes großes Abenteuer ist.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich Der Kreidemann sehr gut unterhalten hat und ich hoffe, dass wir noch viel von C. J. Tudor hören werden.