Rezension

Gemeinsam im Anfang

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer - Alex Capus

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer
von Alex Capus

Bewertet mit 4.5 Sternen

Was haben ein Maler, eine Sängerin und ein Physiker miteinander gemeinsam? Wilde Geschichten ließen sich dazu ausdenken, verwickelte Plots oder dramatische Liebesszenen entwerfen. Alex Capus hingegen hat sich für eine eigene Richtung entschieden. Emile Gilliéron, Laura d'Oriano und Felix Bloch haben eine einzige, winzige und dazu wahrscheinlich rein hypothetische Begegnung gemeinsam. Irgendwann Anfang November im Jahr 1924 könnten sich bei Zürich ihre Wege leicht gekreuzt haben, aber das ist nicht gewiss und für das jeweilige Leben der drei Figuren ohne Bedeutung.
Emile ist in Griechenland aufgewachsen, sein Vater war als Kunstmaler ein enger Vertrauter und Mitarbeiter von Heinrich Schliemann, der im antiken Sand nach den Spuren des Priamos und dessen sagenumwobenen Schatz suchte. Im November 1924 brachte Emile Junior seinen Vater in einer Zigarrenkiste zurück in seine Heimat, er selber kehrte heim nach Griechenland und half dem Schliemann Nachfolger Arthur Evans den Palast von König Minos auf Kreta wieder aufzubauen.
Laura d'Oriano war 1924 auf dem Weg in ein neues Leben. Seit sie denken konnte, reiste sie mit ihrer Familie durch ganz Europa: Einmal bis zum Orient und wieder zurück. Als Sängerin unterhielt ihre Mutter in aller Herrenländer das Publikum, am Klavier saß der Vater und begleitete seine Frau. Doch die Zeiten änderten sich, wurden rauer und ließen den Menschen kein Geld mehr für ein vergnügliches Nachtleben. Lauras Familie musste sesshaft werden und befand sich 1924 zu diesem Zweck auf dem Weg nach Marseille. Ihre Weltgewandtheit und die vielen Sprachen, die Laura beherrschte, halfen ihr ein ums andere Mal sich über Wasser zu halten und sollten sie am Ende doch nur ins Verderben führen.
Auch für Felix Bloch begann im November 1924 ein neuer Lebensabschnitt. Er sollte sich nun endlich für ein Studium entscheiden und fand mit seiner Begabung für Mathematik und Physik nach einem Semester Maschinenbau in der theoretischen Physik seine Berufung. In den folgenden drei Jahrzehnten revolutionierten er und seine Physikerkollegen die Wissenschaft und schließlich auch die Welt. Die Entdeckung der Neutronen brachte eine Entwicklung in Gang, die schließlich in der schlimmsten Bedrohung allen Lebens gipfelte.

Capus' Roman malt ein Bild von einer vergangenen Zeit, in der sich innerhalb eines halben Lebensjahres die bekannte Welt dreimal so schnell zu drehen schien. Seine Figuren verwendet er als literarische Beispiele für eine Epoche voll von Umbrüchen, rasanten Veränderungen und großen Bedrohungen. Emile, Laura und Felix kommen dabei fast langweilig daher. Ihr Leben plätschert dahin, ist dem Alltag und der sich unablässig bewegenden Welt unterworfen. Entscheidungen scheinen immer von anderen getroffen zu werden. Nicht von ungefähr allerdings beginnt Capus seinen Roman auf den Gleisen der Eisenbahn. Weichenstellungen geben dem Zug die richtige Richtung vor. Auch die Romanfiguren nehmen ein gewisse Stellung zur Welt ein und bestimmen dadurch ihren Lebensweg. Lauras unbestimmtes Gefühl in der Brust lässt sie wissen, was sie nicht will in ihrem Leben. Mit Mann und Kindern konnte sie sich arrangieren, nicht aber mit der Eintönigkeit eines bäuerlichen Lebens, in der sich die Unterwäsche der Dorfbewohner nicht voneinander unterscheiden dürfen. Auch Emiles Vater wurde bestimmt von der Enge seiner Heimat und ihrer Bewohner. Weil er sich nicht anpassen wollte, ist er schließlich in Griechenland gelandet und hat dort ein bürgerliches Leben gelebt, dessen Verbindlichkeiten wie von selbst auf seinen Sohn übergingen. Gequält von den industriellen Errungenschaften seiner Zeit und ihren negativen Auswirkungen sah Felix sich eine pazifistische Haltung annehmen, die er auch lange Zeit in der theoretischen Physik ausleben konnte. Mit dem Schrecken des 2. Weltkrieges und dem großen Endziel der Deutschen musste er schließlich eine Entscheidung treffen, die zugunsten Robert Oppenheimers und des amerikanischen Militärs ausfiel.

Alex Capus' Roman gefällt in seiner Sprache, seiner Figurengestaltung und der Komposition von Charakteren in einer Handlung, die nichts miteinander gemein hat bis auf eine annähernd gleiche historische Zeit. Sein Erzählton trifft genau die Figur, ihr Leben und ihre Welt, und wechselt manchmal mit Sprung, aber immer ohne Kratzer zur nächsten Figur. Dem Buch wohnt eine fiktive Authentizität inne, so dass mir manche Bilder in Sepia vor dem inneren Auge aufleuchten oder ich leise russische Klänge von Bajuschki Baju zu vernehmen glaube.