Rezension

Genial und nervtötend

Milchmann - Anna Burns

Milchmann
von Anna Burns

Bewertet mit 3.5 Sternen

Um diese Rezension habe ich mich ein wenig herumgedrückt. Dieses Buch ist schwierig, sperrig, nervtötend, witzig, brillant erzählt und auch irgendwie genial. Wie soll man das bewerten?

Da ist diese namenlose Erzählerin, die in dieser Stadt lebt, auf der richtigen Seite der Hauptstraße, auf dieser Seite der See, und die Probleme hat, weil sie sich nicht an die Regeln hält. Sie ist achtzehn, leseverrückt, sportbegeistert und noch immer nicht verheiratet. Das erweckt Misstrauen in dieser Gesellschaft, wo man klar Stellung beziehen muss, um dazuzugehören.

„Überall und mit allem, was man tat, gab man ein politisches Statement ab, ob man wollte oder nicht. Auch das Aussehen spielte eine Rolle, man war sich einig, dass man die da von der anderen Seite der Hauptstraße von uns hier auf dieser Seite der Hauptstraße rein äußerlich unterscheiden konnte. Es gab unterschiedliche Wandbilder, Traditionen, Zeitungen, Hymnen, „Feiertage“, Pässe, Münzprägungen, Bürgerbefugnisse, unterschiedliche Polizei, unterschiedliches Militär, unterschiedliches Paramilitär.“

Plötzlich wird sie gestalkt von einem älteren Mann, der noch dazu verheiratet ist und einen weißen Lieferwagen fährt wie ein Milchmann. Und obwohl sie sich wehrt und distanziert, kocht die Gerüchteküche hoch, weil nicht sein kann, was nicht sein soll und weil man sich an Ritualen festhalten muss, wenn so viel Unwägbares den Alltag bestimmt. Ihre älteste Schwester hat z. B. Sorgen ganz anderer Qualität.

„Inzwischen trauerte sie jedoch nicht mehr nur, weil er sie betrogen und für eine andere Frau verlassen hatte, sondern weil er außerdem tot war. Er war bei der Arbeit von einer Autobombe in den Tod gerissen worden, weil er die falsche Religion am falschen Ort gehabt hatte, so was kam vor. Er war also tot.“

Hier bekommt man ein irrwitziges Gesellschaftsportrait, das eine irgendwie irische Gesellschaft am Rande des Wahnsinns zeigt, bis zur Unkenntlichkeit in Untergruppen gespalten, die sich bis aufs Blut bekriegen. Plastisch, witzig und unendlich zynisch seziert Anna Burns die Strukturen in einer höchst originellen und kunstvollen Sprache.

Das Lesen macht Spaß und man ist zutiefst beeindruckt von so viel Witz und Scharfsinn. Nur kommt die Handlung sehr schleppend voran. Es kann durchaus passieren, dass sie mal wieder auf den Milchmann trifft und da stehen sie nun. 50 Seiten später stehen sie da immer noch, weil wir uns erst einmal gründlich Gedanken über etwas anderes machen mussten.
Wahrscheinlich ist die Handlung in diesem Buch sowieso zweitrangig, trotzdem ist es nicht sonderlich befriedigend, wenn man vor sich hin liest und dabei das Gefühl hat, man kommt nicht so recht vom Fleck. Bis zum Schluss ist man hin- und hergerissen, ist beeindruckt von dieser höchst originellen Sprache und amüsiert sich, auch wenn der Text gleichzeitig die Nerven strapaziert. Ein bisschen mehr Gnade in dieser Hinsicht hätte ich mir gewünscht, ein gutes Buch braucht gute Sprache UND Handlung.

Also, dieses Buch ist genial, aber ich bin froh, dass ich durch bin. Ein zäher Stiefel ist es auch.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Februar 2020 um 09:22

Nervtötend. Haha.

Emswashed kommentierte am 22. Februar 2020 um 10:35

Klopf das Leder weich, dann passt der Schuh! Laute Musik ist nervtötend. ;-)