Rezension

Geniale Geschichtsstunde

Land im Sturm - Ulf Schiewe

Land im Sturm
von Ulf Schiewe

Bewertet mit 5 Sternen

„...Der junge Arnulf, Sohn eines Hufschmieds im Welschen, ahnt an jenem Sommerabend des Jahres 955 noch nicht, was ihm bevorsteht. […] Wir befinden uns in den Alpen, genauer gesagt: im unteren Inntal, durch das die alte Römerstraße flussaufwärts bis Innsbruck führt […] Es ist Ende Juni, die Heumahd ist eingebracht.[...] An diesem Abend begeht die Dorfgemeinschaft wie jedes Jahr das Johannisfest. […] Und damit beginnt die Geschichte...“

 

Das Eingangszitat stammt aus dem kursiven Vorwort zum ersten Kapitel des Romans. Arnulf und Hedwig sind die Protagonisten dieses Teils. Doch nicht nur ihre Nachkommen darf ich durch tausend Jahre deutscher Geschichte begleiten.

Der Autor hat einen spannenden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. In fünf Kapitel blättert er fünf Stationen deutscher Geschichte auf. Es beginnt mit dem Einfall der Ungarn und setzt sich fort mit dem Kampf gegen die Wenden im Jahre 1146. Danach folgen der Dreißigjährige Krieg, der Napoleonfeldzug und zum Schluss die Revolution im Jahre 1848.

Der Schriftstil ist ausgereift. Jedes Kapitel beginnt mit einer kursiven Einleitung, die auf das eigentliche Thema hinführt. Die geschichtlichen Zusammenhänge werden in ihrer Wirkung auf die Menschen ihrer Zeit dargestellt.

Im ersten Kapitel muss Arnulf aus seiner Heimat fliehen. Unterwegs trifft er auf Hedwig, die von ungarischen Söldnern vergewaltigt wurde und fliehen konnte. In Augsburg ist er Teil des Kampfes gegen die Ungarn. Treffender wie das folgende Zitat kann man die Befindlichkeit der Verteidiger nicht beschreiben:

 

„...Ganz gleich, wie tapfer sie sich gaben, die Angst ritt mit...“

 

Im zweiten Teil leben Arnulfs Nachkommen, die Brüder Arnulf und Gero, in Lümburg. Auch sie sind wieder Schmiede. Doch nach einer Auseinandersetzung in der Kneipe mit fremden Söldnern wird Schmiede und Haus ein Opfer der Flammen. Die Familie geht zur Schwester Irmgard nach Lübeck. Neben dem Leben in der Stadt wird hier auch der Handel über die Ostsee thematisiert. Wieder aber wird ein Krieg das Leben zerstören. Der erst 18jähige Heinrich, den man später Heinrich den Löwen nennen wird, plant einen Feldzug gegen die Wenden. Die aber sind schneller und machen Lübeck fast den Erdboden gleich. Auf die einheimische Bevölkerung nimmt keiner Rücksicht. Mord, Totschlag und Vergewaltigung sind an er Tagesordnung. Glücklicherweise konnte sich die Familie rechtzeitig in den Wald retten.Irmgard stellt angesichts der brennenden Stadt die richtige Frage.

 

„...Und deshalb müssen die armen Leute da drüben sterben? Nur damit er Adolf zeigen kann, was er für ein Kerl ist?...“

 

1647 befinden wir uns fast am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Das Land ist ausgeblutet. Jeder kämpft gegen jeden und wechselt mal schnell die Seite, wenn der andere besser bezahlt. Hunger und Seuchen sind an der Tagesordnung. Ein junger Schmied kämpft in den Reihen von Ewalt von Billung. Der aber will sich nach einem gelungenen Husarenstück in die Heimat absetzen. Detailgenau beschreibt der Autor, auf welche Verhältnisse sie auf ihren Weg in den Norden treffen. Die Menschheit hat immer noch nichts dazugelernt. Wieder säumen die Folgen der Gräuel ihren Weg. Das folgende Zitat sieht die Lage sarkastisch.

 

„...Im Krieg ist es immer noch besser, ein Wolf zu sein als ein Lamm...“

 

Im Jahre 1813 steht eine junge Frau im Mittelpunkt der Erzählung. Sie ist die Tochter eines Schmiedes. Selbstbewusst geht sie ihren Weg. Mit Jakob, einem jüdischen Journalisten, diskutiert sie über die Zeitverhältnisse. Dann lernt sie Ewalt von Billung kennen. Er wirbt behutsam um sie. Doch Preußen wird gegen Napoleon in den Krieg ziehen. Hat ihre Liebe eine Zukunft?

 

Im letzten Teil begegne ich Hedwig und ihren Bruder Gero wieder. Beide haben die Gunst der Stunde genutzt und aus der einstigen Schmiede ein florierendes Industrieunternehmen gemacht. Jetzt aber werden die Zeiten härter, denn im Volk brodelt es. Hedwigs Sohn Ewalt ist Ingenieur und tüftelt an einer verbesserten Lokomotive. Im Gespräch mit Hedwig sieht Jakob fast vorausschauend in die Zukunft.

 

„...Diese Begeisterung für alles Deutsche und alles Nationale geht mir zu weit. Und dann wird gern über den Erbfeind Frankreich gefaselt, Germania und die Wacht am Rhein. Ich halte das für gefährlich...“

 

Interessant finde ich die Diskussionen zwischen Aaron, Jakobs Sohn, und Ewalt. Ewalt ist durchaus neuen Gedanken gegenüber aufgeschlossen und sich bewusst, dass er als zukünftiger Fabrikbesitzer Verantwortung für seine Arbeiter hat. Aaron genügt das nicht. Er träumt von der Herrschaft der Arbeiter.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Geschickt vermittelt der Autor anhand persönlicher Schicksale, wie grausam der Krieg ist. Über tausend Jahre hat er immer wieder in das Leben der Menschen eingegriffen, weil die Gier nach Macht und Reichtum die Triebkraft des Handelns war.