Rezension

Geniale Kopplung aus alltäglichen Teenagersorgen mit den düsteren politischen Einflüssen der Zeit ​

Der Trafikant
von Robert Seethaler

Bewertet mit 5 Sternen

Mein erster Seethaler-Roman war eine absolut positive Überraschung für mich. Da ich die Verfilmung (die übrigens extrem nah am Buch und als Verfilmung gut gelungen ist!) nur gut, aber nicht herausragend fand, und Bücher über die NS-Zeit oft eher meide, hatte ich nicht erwartet, dass ich diesen Roman innerhalb eines Tages verschlingen und von ihm absolut fasziniert sein würde.

Seethalers Schreibstil macht definitiv einen großen Teil der Qualität dieses Romans aus. Er ist bildlich, anschaulich und entführt einen gemeinsam mit Franz ins Wien der 30er-Jahre, ohne jedoch jemals langatmig zu sein. Zudem enthält er durchaus subtilen Humor, der mit dafür sorgt, dass das Buch trotz seiner düsteren Thematik nicht komplett deprimierend ist.

Die Genialität des Buches ergibt sich aus den zwei Handlungen, die parallel ablaufen:
Vordergründig geht es um Franz‘ typische Probleme eines Jugendlichen, hauptsächlich seine Suche nach einer ersten Liebe. Er verliebt sich, wie es für einen Teenager wohl realistisch ist, Hals über Kopf in die erste Frau, die sich für ihn interessiert. Anezka ist in ihrem Verhalten gegenüber Franz nicht sympathisch, doch vermutlich authentisch, ebenso wie Franz’ blinde Naivität. Seine Geschichte ist ebenso schmerzhaft wie glaubwürdig und gespickt mit schönen, nachdenklichen Gesprächen mit Sigmund Freud.

Währenddessen läuft im Hintergrund schleichend ab, was wir alle aus den Geschichtsbüchern kennen: Österreich macht einen Rechtsruck durch und treibt immer mehr dem nationalsozialistischen Deutschland in die Arme. Auch die Anfeindungen gegen Juden nehmen zu - während die anderen Menschen Wiens größtenteils wegschauen. Ohne in erster Linie ein Buch über den Nationalsozialismus zu sein, zeigt der Roman so auf eindringliche und treffende Art, wie ein Land eine erschreckende Entwicklung nehmen kann, die bzw. deren Ausmaß von vielen erst bemerkt wird, wenn es bereits zu spät ist. Anhand von Figuren wie Otto Trsnjek und dem Roten Egon wird auch gezeigt, wie damals mit Menschen umgegangen wurde, die sich getraut haben, gegen die Entwicklungen Stellung zu nehmen.
Wie viele Geschichten über diese Zeit ist der Roman in der Hinsicht nicht nur bedrückend sondern auch eine Warnung, die durchaus in der heutigen Zeit noch Relevanz hat.

Die Vermischung dieser beiden Handlungsebenen macht für mich die Intensität und Authentizität des Romans aus. Auch Franz, der an Politik nicht sonderlich interessiert ist, bekommt zunächst nur am Rande mit, was sich in Österreich abspielt. Erst, als die Ereignisse ihn persönlich betreffen, wacht er auf - eine durchaus glaubwürdige Entwicklung. Dadurch hat der Roman nie etwas Belehrendes an sich und vermittelt dennoch eine wichtige Botschaft.

Fazit

„Der Trafikant“ ist ein atmosphärisch dichter, wunderbar geschriebener Roman, der gekonnt die authentische Geschichte eines Teenagers und seiner ersten Liebe mit den düsteren Ereignissen in Österreich Ende der 30er-Jahre verbindet. Seethaler beweist hier ein Gefühl für Worte sowie großes Erzählgeschick.