Rezension

Gereon Rath

Der nasse Fisch - Volker Kutscher

Der nasse Fisch
von Volker Kutscher

Bewertet mit 5 Sternen

Gefühlt war ich der einzige Mensch in Deutschland, der bisher weder Bücher der Gereon Rath-Reihe gelesen, noch die daraus entstandene Serie Babylon Berlin gesehen hatte. Das hat sich nun tatsächlich geändert. Ein bisschen wundere ich mich im Nachhinein schon, dass ausgerechnet ich diese Mischung aus klassischem hardboiled Krimi und Zwanziger Jahre-Flair so lange nicht wahrgenommen habe. Die sozialen Medien waren voll davon, mein Mann hat von der Serie geschwärmt und … Frau Lehmann war scheinbar nicht anwesend.
Bis ich in der Vorschau des Piper Verlags quasi darüber gestolpert bin. Schallend ausgelacht wurde ich dafür: oh, ein Zwanziger Jahre-Krimi und oh, die Vorlage für Babylon Berlin, davon habe ich Dir schon vor Monaten erzählt, war der Kommentar des besserwissend lächelnden Gatten.
Für eventuell doch noch vorhandene Unwissende, die sich gerade verzweifelt fragen, wovon ich hier eigentlich schreibe, folgt nun eine kleine Zusammenfassung. Alle anderen dürfen diesen Abschnitt getrost überspringen.
Der junge Polizeikommissar Gereon Rath wird wegen eines Vergehens aus dem Kölner Morddezernat nach Berlin zur Sittenpolizei versetzt. Es ist das Jahr 1929, überall machen in Berlin verbotene Clubs auf, die Pornoindustrie boomt, es fließen Ströme von Alkohol und Drogen, der berühmte Tanz auf dem Vulkan ist in vollem Gange. Durch einen Zufall bekommt Rath Informationen zu einer laufenden Mordermittlung. Um sich zu profilieren und gegebenenfalls wieder in eine Mordkommission versetzt zu werden, ermittelt er auf eigene Faust weiter. Dabei verliebt er sich in seine Kollegin Charlotte Richter und stochert in diversen Schlangengruben herum.
Warum ist da eigentlich noch nicht eher einer auf die Idee gekommen, dass das Berlin der Weimarer Republik genau der Ort sein könnte, an dem ein deutscher Philip Marlowe sich heimisch fühlen könnte? Und ist das tatsächlich die erste deutsche Krimireihe, die an die Traditionen Chandler und Hammett anschließt?
Das Setting könnte jedenfalls nicht besser gewählt sein. Der Erste Weltkrieg ist verloren, die Weltwirtschaftskrise droht. Rechte und linke Gruppierungen liefern sich bewaffnete Straßenschlachten, der Nationalsozialismus hat sein hässliches Haupt schon erhoben. Berlin brennt. Die Menschen feiern, um zu vergessen. Kinos, Varietétheater, Nachtclubs schießen aus dem Boden, kontrolliert und geleitet von Verbrecherkartellen. Die Polizei hat es nicht leicht, für Recht und Ordnung zu sorgen, schon allein deshalb nicht, weil hohe Vorgesetzte sich eher von der Politik leiten lassen als von der Gesetzeslage. Es wird geküngelt, vertuscht und gemauschelt, Akten verschwinden, Menschen auch. Sicher ist im Leben nur der Tod.
Gereon Rath muss die Gesetze der Hauptstadt erst lernen. Und stellt dabei fest, dass es gar nicht so leicht ist, in diesem Sumpf ehrenhaft zu handeln. Vor allem dann nicht, wenn einen der eigene Ehrgeiz antreibt, der Wunsch sich zu beweisen. Rath ist kein eindimensionaler Held. Er hat Fehler, Schwächen, er ist unsicher, verrennt sich, raucht wie ein Schlot, säuft ganz gern und ist auch bei Kokain nicht abgeneigt. Und er hat einen Übervater im Nacken, einen mit Verbindungen zum Polizeipräsidenten, der ihn behandelt wie eine Schachfigur. Kurz, Rath ist ein Getriebener. Und passt deshalb so hervorragend in diese atemlose Stadt.
Inzwischen kann ich verstehen, warum die Reihe so beliebt ist. "Der nasse Fisch" ist im Grunde nahezu perfekt: gut recherchiert, ausgefeilte und ausbaufähige Charaktere in einer hochexplosiven Zeit und ein spannender Fall, geschichtlich plausibel umgesetzt. Mehr kann man eigentlich von einem Krimi kaum verlangen. Gereon Rath hat einen weiteren Fan.