Rezension

Gerritsen einmal anders

Totenlied
von Tess Gerritsen

Bewertet mit 5 Sternen

Gegenwart: auf einer Reise mit ihrem Ensemble nach Venedig ersteht die Geigerin Julia Ansden ein interessantes Notenheft bei einem Antiquitätenhändler, in dem sie eine zusätzliche Melodie findet, die sie noch niemals zuvor gesehen hat. Kurzerhand kauft sie das überteuerte Heft mit Zigeunermelodien samt Notenblatt. Kaum zu Hause muss Julia dieses Stück unbedingt ausprobieren und beginnt zu spielen, sie versinkt regelrecht in dem Stück und als sie die Augen wieder aufschlägt, steht ihre dreijährige Tochter blutüberströmt vor ihr. Da sie keine Verletzungen aufweist, sucht Julia und findet den alten Kater auf der Terrasse, mit einer Gartenschere getötet. Hat Julias kleine Tochter das Tier getötet? Kann das wirklich sein? Als sie eine Zeit später das Stück wieder spielt, geschieht wieder etwas ungewöhnliches und niemand glaubt Julia. Sie beschließt herauszufinden, was es mit dem Lied auf sich hat und wo es her kommt. Bei einer Nacht und Nebenaktion verläßt sie Amerika und kehrt zurück nach Venedig.
1933 - 1944: der junge Geiger und Komponist Lorenzo Todesco lebt in Venedig. Mitten in der Zeit der Nazis wird es für ihn, als jüdischer Mitbürger, immer gefährlicher. Lediglich die junge Cellistin Laura, in die er verliebt ist, steht voll und ganz hinter ihm. Doch auch die Familie Todesco kann dem grauenhaften Schicksal nicht entkommen und als eines Nachts seine Familie von der SS abgeholt wird, geht er kurzerhand mit ihnen.
Meine Meinung:
Ein Thriller auf zwei Zeitebenen und das auch noch von einer meiner Lieblingsautorinnen, ich war durchweg gespannt darauf und ich wurde auch nicht enttäuscht. Zwar war es etwas ganz anderes, als ich bisher von ihr gewohnt war, aber ihr Schreibstil ist nach wie vor fesselnd und mitreißend. Tatsächlich ist dieser Thriller nicht nur ein Thriller, sondern enthält Historie, Familiengeschichte und ein wenig Thrill in einem bereit und so flogen die Seiten des Buches nur so dahin und ich verschlang es an gerade einmal einen Abend. Gerritsen erschafft eine sehr beängstigende Atmosphäre und das nicht nur in der Gegenwart, gerade der Zweig in der Vergangenheit hat etwas bedrohliches. Man weiß ja, worauf das alles hinaus laufen wird und doch ist die Hoffnung permanent da, dass es für Lorenzo gut ausgehen wird. Die Spannung innerhalb der Geschichte ist von Beginn an hoch gehalten und doch schafft es die Autorin, diese Spannung immer wieder aufs Neue zu steigern.
Während die Geschichte in der Gegenwart aus Julias Sicht erzählt wird, können wir die Geschichte um Lorenzo durch einen Erzähler verfolgen. Diese Wahl ist sehr gut gelungen, denn so merkt man gerade wenn Julia erzählt, wie ihre Verzweiflung sich immer mehr steigert. Niemand glaubt ihren Erzählungen und auch sie selbst weiß nicht mehr, ob sie das alles so wirklich erlebt hat. Die Gefühle von Verwirrung und die Angst, die Julia ausstehen muss, werden dadurch auch für mich als Leserin deutlich spürbar. Julia ist hier auch der Charakter, der am deutlichsten heraussticht, alle anderen Charaktere in der Gegenwart bleiben das was sie auch sein sollten, Nebencharaktere.
Währenddessen bekommt man eine gut recherchierten historischen Hintergrund, wenn die Geschichte um Lorenzo erzählt wird. Hier sind auch die Charaktere deutlicher beschrieben und man lernt neben Lorenzo auch noch seine Duettpartnerin Laura kennen. Die beiden verbindet nicht nur die Liebe zur Musik, denn auch sie fühlen sich zueinander hingezogen. In diesem Bereich hat mir auch der Charakter der Laura am besten gefallen, denn sie ist eine durchweg beeindruckende Persönlichkeit.
Lediglich das Ende konnte mich nicht zu hundert Prozent überzeugen, kam es doch ein wenig abrupt und auch wenn es eine logische Erklärung für die Geschehnisse in der Gegenwart beinhaltet, so hätte es für mich den leicht mysteriösen Touch beibehalten können.
Mein Fazit:
Ein Buch ohne Rizzoli und Iles - ist das wirklich möglich? Absolut! Gerritsen verfügt auch hier über ein wunderbares Gespür für das Aufkommen von Spannung. Ihre Geschichte ist nicht nur mitreißend erzählt, sondern auch sehr gut recherchiert und man bekommt ab und an eine Gänsehaut beim Lesen. Trotz des für mich etwas schwächelnden Endes hat mir dieser Thriller sehr gut gefallen und ich würde jederzeit wieder ein Buch von ihr lesen, dass nicht von ihren "Stars" handelt. Wer Geschichten mag, die zwei Zeitebenen beinhalten und dazu noch ein kleines bisschen unheimlich angehaucht sind, der ist hier sehr gut aufgehoben, denn die Atmosphäre, die die Autorin erschafft, ist einmalig. Eine ganz klare Leseempfehlung und fünf von fünf Sternen gibt es hier!