Rezension

Geschichte fesselnd erzählt

Der Attentäter - Ulf Schiewe

Der Attentäter
von Ulf Schiewe

Bewertet mit 5 Sternen

Autor Ulf Schiewe entführt die Leser in die Woche vor dem 28. Juni 1914. Das tödliche Attentat auf Habsburgs Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie ist der willkommene Anlass der Kriegstreiber in Deutschland und Österreich-Ungarn, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Die verheerenden Folgen hat wohl keiner bedacht.

 

Obwohl der Ausgang des Buches bekannt ist, liest sich dieser historische Roman wie ein Thriller. Der Leser kann sich manchmal nicht des Gefühls erwehren, ein anderes Ende der Geschichte zu erwarten, zu erhoffen. Doch mit alternativer Geschichtsschreibung hat der Autor nichts am Hut.

 

Akribisch sind die ZDF (Zahlen, Daten, Fakten) recherchiert, sind die Viten der Beteiligten bzw. Betroffenen sowie die Orte nachgelesen und in Szene gesetzt. Nur wenige Figuren wie die des k.und k. Geheimdienstoffiziers Rudolf A. Marković, seinem Mitarbeiter Heribert Simon, der Puffmutter Svetlana Marić sowie die der Baronin von Prittwitz, sind erfunden. Alle anderen Personen, von Franz Ferdinand bis Vojislav Tanković, sind historisch belegt. Selbst Vukosava Čabrinović, die Schwester von Nedeljko, einem der Attentäter, spielt ihre Rolle.

Großen Raum nimmt die Arroganz und das Unvermögen des Feldzeugmeisters Oskar Potiorek, dem Militärgouverneur und Landeschef von Bosnien-Herzegowina, ein. Er lässt jegliche Umsicht bzw. Vorsicht bei diesem heiklen Besuch vermissen und zeichnet sich durch offen zur Schau getragenen Antisemitismus aus.

Anders als im wirklichen Leben lässt der Autor den k. und k. Geheimdienst nicht gar so schlecht dastehen. Der engagierte Marković versucht, trotz Widerstand und Ignoranz seitens Potiorek, ohne ausreichende Ressourcen, die Attentäter ausfindig und unschädlich zu machen. Doch wie der Lauf der Geschichte gezeigt hat, vergeblich.

 

„Dafür ist er Feldzeugmeister. Du weißt doch, Rang verpflichtet. Je höher der Dienstgrad, desto dümmer der Mann.“ (S. 376)

 

In Wirklichkeit war der Geheimdienst mehr als ahnungslos und hat die eine oder andere halbherzige Warnung über ein mögliches Attentat in den Wind geschlagen.

 

Obwohl Oskar Potiorek die Verantwortung für die laxen Sicherheitsmaßnahmen hatte und den Thronfolger samt Gemahlin nach dem ersten Anschlag nicht umgehend aus der Stadt bringen ließ, bleibt er im und wird sogar noch belobigt. Das wirft ein schlechtes Licht auf Kaiser Franz Joseph und seine Ratgeber. Potiorek wird sogar Oberkommandierender der Balkan-Streitkräfte und scheitert auf Grund von weiteren katastrophalen Fehlern bei der Planung. Erst am 01.01.1915 wird er seines Kommandos enthoben und zwangsweise pensioniert. Eigentlich hätte er sich, dem Ehrenkodex eines Offiziers entsprechend, nach dem Attentat selbst erschießen müssen. Hat ihm das niemand nahegelegt?

 

Interessant ist der Blick auf die Attentäter und ihre Führungsoffizier und Hintermänner: Nedeljko Čabrinović, Gavrilo Princip, Trifun „Trifko“ Grabež, Cvetko Popović sowie Muhamed Mehmedbašić.

Auch die Rolle der serbischen Regierung und der diversen Geheimbünde wird beleuchtet.

 

Obwohl natürlich das Attentat per se als unmoralisch verurteilt werden muss, stellt Ulf Schiewe die Attentäter durchaus menschlich dar. So wäscht Princip seine Unterwäsche, um gegebenenfalls in sauberer Wäsche zu sterben. Auch seine Verliebtheit in Schulkollegin Jelena, die er kurz vor den Attentat mehrmals trifft und

mit der er seine erste (und letzte) Liebesnacht haben möchte, ist glaubhaft dargestellt. Genauso wie sein Zorn, als sich ihm Jelena verweigert und er sich „hereingelegt“, weil provoziert fühlt. An manchen Stellen hegen sie durchaus Zweifel an ihrem Vorhaben. Denn, zwischen den Gedankenspielen zum „Tyrannenmord“ (wie es ihnen eingetrichtert wird) und der Ausführung eines solchen, liegen doch Welten. Doch dann kommt der Punkt, an dem sie nicht mehr zurück können und das Unheil nimmt seinen Lauf.

 

Nach dem Attentat werden Princip, Čabrinović, Grabež und Popović gefasst und auf Grund ihres jugendlichen Alters „nur“ zu bis zu 20 Jahren Festungshaft verurteilt. Lediglich Popović überlebt die Haft. Die anderen sterben an der Tuberkulose, an der sie schon zuvor gelitten haben. Eine Verurteilung zum Tode und die sofortige Exekution wäre humaner gewesen.

 

Fazit:

 

Ein akribisch recherchierter historischer Roman, der auf Grund der Ereignisse und deren Folgen zum fesselnden Thriller wird. Für mich ein besonderes Highlight dieses Jahres. Deshalb gebe ich 5 Sterne (mehr geht leider nicht) und eine unbedingte Leseempfehlung.