Rezension

Geschichte mit Gregor

Ein Leben ist zu wenig - Gregor Gysi

Ein Leben ist zu wenig
von Gregor Gysi

Bewertet mit 3 Sternen

Verglichen mit der Autobiographie von Marcel Reich-Ranicki stinkt die Autobiographie von Gregor Gysi ziemlich ab. Aber sie ist so nah dran an zeitgenössischer deutscher Geschichte und jeder kennt Gregor Gysi, dass sie dennoch lesenswert ist. Manchmal unterhaltend, aber auch oft langweilig und einseitig.

Autobiographien sind immer etwas gefärbt, um nicht zu sagen geschönt. Das geht soweit in Ordnung, deshalb schreibt man sie ja. Trotzdem würde ich nach der Lektüre dieses Buches sehr gerne zusätzlich eine kritische Biographie über Gregor Gysi lesen. Dann rundet sich das Bild vielleicht ab! Ich höre Gregor Gysi gerne sprechen, er hat Witz, ist schlagfertig und da und dort decken sich sogar unsere politischen Meinungen. Aber dass man gut reden kann, bedeutet nicht automatisch, dass man auch richtig gut schreiben kann. Die vorliegende Autobiographie ist ziemlich beiläufig erzählt und alles andere als geschliffen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Zeitenwende, also auf den Jahren 1988/89 bis ca. 1995. Aus dem Rechtsanwalt Gysi wurde historienbedingt und umständehalber der Parteivorsitzende der SED-PDS. Mehr und manchmal weniger hat er seine, ursprünglich kommunistische Partei begleitet bis zum heutigen Tage, wo sie als DIE LINKE bekannt ist. Wie kommunistisch ist sie heute noch?

„Ein Leben ist zu wenig“ ist informationslastig, was die historischen und politischen Fakten angeht. Ein persönliches Buch ist es nicht, obwohl Privates natürlich nicht ganz ausgespart ist, ein paar Schnippselchen sind vorhanden.

Warum liest man eine Autobiographie? Um einen Menschen hinter den Kulissen kennenzulernen. Nicht nur das, was eine Person getan und unterlassen hat, ist lesenswert, sondern vor allem das Warum. Welches sind die Gründe für bestimmtes Handeln und Unterlassen? Was hat jemanden zu einem bestimmten Zeitpunkt umgetrieben. Was hat er gefühlt, über was hat er gelacht und über was hat er geweint.

All dies hat man in „Ein Leben ist zu wenig“ eindeutig nicht. Selbst wenn Gregor Gysi über durchlittene Krankheit spricht, tritt der Mensch Gysi in seiner Emotionalität, seinen Befindlichkeiten kaum in Erscheinung, ja, er bleibt in seiner eigenen Geschichte verborgen. So ist „Ein Leben ist zu wenig“ kaum etwas anderes als eine, teilweise durchaus unterhaltsam gestaltete Geschichtsstunde!

Fazit: Ein ziemlich sachlicher, faktenlastiger Gang durch die jüngere deutsche Geschichte an der Hand und aus der politischen Sicht von Gregor Gysi.

Kategorie: Auto-/Biographie
Aufbauverlag 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 15. November 2017 um 09:21

Ich finde ja die Autobiographie von Biermann "Warte nicht auf bessre Zeiten" sehr gelungen - zeitlich überschneidet sie sich mit Gysi, wenn auch nicht unbedingt in der Sicht der Dinge. Biermann hat sich eingelassen, hat sich "ins Leben verstrickt" - privat und politisch, hat gekämpft, sich bemüht und Unsinn gemacht, war ängstlich und tapfer. Und man erfährt viel über Zeitgenossen, die seine Freunde oder Gegner waren, über die er sich gefreut oder geärgert hat, die er geschätzt oder abgelehntb hat - über tapfere (z.B. Manfred Krug) und weniger tapfere (z.B. Christa Wolf), manche werden harsch beurteilt (z.B. Gysi), manche verständnisvoller (z.B. Christa Wolf).

Schade, dass bei Gysi das Persönliche zu kurz kommt. Und irgendwie möchte man, finde ich, doch die Wahrheit wissen, möglichst ungeschönt.

wandagreen kommentierte am 15. November 2017 um 10:51

Tschaha, ich war nicht dabei, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein bisschen glatt gezurrt wurde ... Falls du das genannte Buch besitzt, das würde ich mir gerne ausleihen.

Naibenak kommentierte am 15. November 2017 um 10:36

Sehr interessant, deine Rezi! Ich interessiere mich für das Buch, da ich Gysi unheimlich interessant finde. Allerdings scheint man ja über ihn als Person eher wenig zu erfahren... hmm... ich überleg es mir mal noch^^ Danke Wanda!!!

wandagreen kommentierte am 15. November 2017 um 10:48

Oh, er kommt schon drin vor, aber halt mehr beruflich. Der Beruf hat ihn ja auch "gefressen".

Naibenak kommentierte am 15. November 2017 um 10:50

Haha... ja klar, aber was dir so fehlt am Buch, würde mir auch fehlen, glaube ich ;-)