Rezension

Geteilter Meinung zu diesem außergewöhnlichen Roman

Die Abenteuer des Joel Spazierer - Michael Köhlmeier

Die Abenteuer des Joel Spazierer
von Michael Köhlmeier

Zum Inhalt dieses gut 650 Seiten umfassenden Werkes werde ich nichts weiter sagen, als dass „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ von der unglaublich bewegten Lebensgeschichte eines 1949 in Ungarn geborenen Mannes handelt, dessen Weg eine einzige Anhäufung schrecklicher Ereignisse ist. Den Roman würde ich demnach auch nur bedingt als ‚Schelmenroman‘ bezeichnen, da er zwar schon komische Momente aufweist, aber der Schrecken überwiegt. Michael Köhlmeier erzählt die interessante Lebensgeschichte eines Mannes, der viel denkt, aber geradezu keine Emotionen zeigt. Ich würde den Roman somit auch als Charakterstudie eines Soziopathen bezeichnen, da der Protagonist viele Kennzeichen eines solchen aufweist. Er ist ein hochintelligenter, charismatischer Lügner, der kein Gefühl von Reue, Scham und Schuld kennt und ein sehr gutes Gefühl für Sprache besitzt. Joel Spazierer (nur eine der zahlreichen Identitäten, die er im Laufe der Geschichte annimmt) schafft es außerdem nie, sesshaft zu werden und er verfügt nicht über die Gabe, langanhaltende Bindungen einzugehen. Deswegen ist er in meinen Augen vor allem eines: bemitleidenswert.

Selten ist mir die Bewertung eines Buches schwerer gefallen als bei Michael Köhlmeiers „Die Abenteuer des Joel Spazierer“, was vor allem daran liegt, dass sich negative und positive Aspekte geradezu ausgleichen.

Es ist offensichtlich, dass Michael Köhlmeier sein Handwerk versteht. Er ist ein grandioser, kompetenter und herausragender Erzähler, der Ahnung von der Materie hat, von der er schreibt. „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ ist ein unterhaltsamer Roman jenseits des Mainstream. Die Geschichte hat mich angesprochen und ich wurde nicht enttäuscht. Jede einzelne Etappe in Joel Spazieres Leben birgt Überraschungen und ich wusste nie, was als nächstes kommt, wodurch eine große Spannung aufgebaut wird. Außerdem hat der Autor wie nebenbei Zeitgeschichte mit eingebaut, was ich als positiv auffasse. Der Roman ist voll von intelligenten Überlegungen, von denen jede einzelne weitergeführt ein ganzes Buch hätte füllen können. Doch das ist wiederum auch das größte Problem dieses Romans.

Der Erzähler langweilt mit seitenlangen wirren philosophischen bzw. theologischen Überlegungen, auf die man sich komplett einlassen müsste, um sie auch nur ansatzweise zu verstehen. Die Handlung des Buches ist an sich gut, doch wird sie von den unzähligen Abschweifungen arg gestört. Der Autor zwingt den Lesern sein nicht unerhebliches Wissen auf, der Sinn des Ganzen blieb mir jedoch unklar. Hier hätte einiges gekürzt werden können. Einige Überlegungen sind wirklich gut, doch sie gehen vollkommen unter und geraten in Vergessenheit, da von dem Autor einfach zu viele aufgeführt werden. Das finde ich sehr schade. Das Buch wirkt an manchen Stellen schlicht zu überladen und die teilweise sehr weisen, interessanten und gelungenen Gedanken sind dann nichts Besonderes mehr, sondern stellen teilweise nur eine nervliche Zerreißprobe dar. Daher wird das Buch vor allem eines: schwierig und anstrengend zu lesen. Überhaupt ist das Buch eher was für konzentrierte und aufmerksame Leser, da der Roman sehr verstrickt ist und der Erzähler zwischen den unterschiedlichen Jahren springt, was ja an sich nichts Negatives ist. Jedoch wird es irgendwann anstrengend sich die ganzen Namen der Personen und die Geschehnisse zu merken.

Soweit ich es mitbekommen habe, fehlen gut 20 Jahre, ungefähr nach dem Joel Spazierer aus der DDR abhaut. Die Handlung bricht einfach ab. Habe ich was übersehen? Kommentare erwünscht.

Fazit: Wenn man Gefallen an „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ finden möchte, sollte man keine Scheu vor dickeren Büchern komplexeren Inhalts haben. Interesse an theologisch-philosophischen Gedanken könnte auch förderlich sein. Ansonsten bietet der Roman eine unvorhersehbare Geschichte über einen interessanten Charakter, in die wie nebenbei Zeitgeschichte mit einfließt.

„Er fuhr fort, aber das sei genau das Tolle an der Literatur, dass sogar das furchtbarste Leben einem großartig vorkomme, weil es in einem Buch erzählt werde. Genau das wolle er erreichen. Beim Jazz sei es ähnlich, sagte er. Die meisten Musiker führten ein furchtbares Leben mit Alkohol, Drogen und Schulden, aber wenn man ihre Musik höre, gehe es einem hinterher besser als vorher. Was ich davon hielte, fragte er. Ich sagte, dass mir bisher nie solche Gedanken durch den Kopf gegangen seien, dass ich es aber großartig fände, wenn einem solche Gedanken durch den Kopf gingen.“