Rezension

Getrennt durch die KLV

Erzwungene Wege - Annette Oppenlander

Erzwungene Wege
von Annette Oppenlander

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch über das Schicksal der Kinder der KLV. Bewegend, tief abgründig und gut recherchiert. Lesenswert!

1943 freut sich der Nachbarsjunge Peter dass er mit der KLV (Kinderlandverschickung) aus Solingen rauskommen soll, um geschützt zu werden vor Krieg und Tod. Er freut sich auf Lagerfeuer, Märsche, Baden in der Ostsee, mit seinen Klassenkameraden gemeinsam die Zeit zu genießen. Doch seine Nachbarin und beste Freundin Hilda findet diese Begeisterung überhaupt nicht gut…wie kann Peter sie überhaupt hier alleine lassen?! Doch weder Peter noch Hilda wissen welche Gefahren, welche Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste noch auf sie zukommen werden bis der Krieg gegen Hitler endlich sein Ende findet…

„Karl- Heinz schweigt. Ich bin nicht mal sicher, ob er mich gehört hat. Doch mit einem Mal sagt er:" Weißt du, wir haben auch Löcher. Man sieht sie nur nicht." (Seite 270)

KLV – Kinderlandverschickung. Viele können sich vielleicht kein Bild darunter machen. In vielen Büchern rund zum Thema Zweiter Weltkrieg wird es oft angeschnitten, kurz erwähnt, mittlerweile gibt es auch mehr Bücher die sich alleine mit der KLV beschäftigen.

Das Buch und die Geschichte rund um Hilda und Peter von Annette Oppenlander gehört auf jeden Fall dazu und ist in seiner Intensivität und dem Aufbau nicht zu verachten oder muss sich hinter anderen Geschichten um dieses Thema verstecken.

Das Buch selbst ist in 3 Kapitel eingeteilt die sich von Mai 1943 bis Juni 1945 erstrecken. In jedem Kapitel kommen immer Hilda und Peter zu Wort, jeder erzählt seine Geschichte, seine Erlebnisse und Gefühle aus der eigenen Sicht. Der Schreibstil ist sehr packend, einnehmend, das Erlebte nicht leicht zu schlucken, hin und wieder muss man sich eine Pause gönnen da die Autorin hier, durch gekonnte und gut umgesetzte Recherchearbeit die Erlebnisse von vielen Zeitzeugen der KLV erzählt und somit dem Leser bewusst wird – dies ist zur damaligen Zeit in vielen Gegenden von Deutschland passiert.

Hilda und Peter sind Nachbarn, verbringen von klein auf ihre Zeit gemeinsam und durch die KLV werden sie getrennt. Sie kommen in unterschiedliche „Lager“, in unterschiedliche Gegenden, aber getrennt von ihren Familien. Während Peter das noch super findet und anfangs begeistert ist, kann Hilda sich kaum beruhigen weil ihre Mutter alleine daheim bleibt…der Bruder im Krieg, der Vater vor Jahren ausgezogen.

Intensiv und realistisch beschreibt die Autorin die Wege von Hilda und Peter. Die beginnende Liebe zwischen beiden wird getrennt und beide machen sich ihre Gedanken über den anderen, meinen jedem geht es besser, er hat es schöner und leichter und nur als Leser erhält man den wahren Einblick. Manchmal waren es genau diese Gedanken die dieser Geschichte ein Schmunzeln entlocken konnte, die ganze Situation aufheiterte und man als Leser auch durchatmen konnte. Und doch kann man es nicht vorstellen was es heisst von der Familie, in einer Kriegssituation, getrennt zu sein, dieses Unbekannte erleben zu müssen, dass den Kindern eine heile Welt vorgegaukelte wurde und dass die Kinder/Jugendliche, im Endeffekt auf sich alleine gestellt waren.

Beide Protagonisten waren mir sympathisch, authentisch und durch den Perspektivenwechsel ergibt sich ein gelungenes aber sehr erschreckendes Gesamtbild. Man hat einen großen Respekt vor beiden weil sie für das Schicksal von Millionen Kindern zu dieser Zeit stehen, wie schnell und ungewollt sie erwachsenen werden und Entscheidungen anstanden die sie selbst treffen mussten, in einer Welt wandelten die sich selbst neu suchte, vieles war vom Mitgefühl und Hilfsbereitschaft der Gesellschaft abhängig.

Die Familien spielen einen zentralen Punkt in dieser Geschichte, auch die Schicksale die eine ganze Familie traf werden hier beleuchtet und erläutert. Egal ob es um Soldaten geht, um ihre inneren und äusseren Verletzungen, dass viele Schicksale bis heute nachwirken, über Generationen hinweg, Schicksale die nie aufgeklärt wurden, Männer und Kinder die nie nach Hause fanden. Hunger und Durst, Kälte und Angst waren neben alldem der ständige Begleiter.

„Erzwungene Wege“ beschreibt ein ebenso dunkles Kapitel des Zweiten Weltkrieges. Zeigt auf was Hitler und seine Schergen von Kindern wirklich hielt, wie wichtig sie ihm waren, wofür er die Kinder drillen und formen wollte.  

„Ja, nur wir Frauen und Mädchen sind übrig. Wir müssen uns verteidigen, irgendwie versuchen, die auseinanderfallenen Teile unserer Familie zusammenhalten. Viele Frauen arbeiten in Fabriken, weil es nicht genügend Männer gibt, alles in Gang zu halten.“ (Seite 154)

Ein historischer Roman der unter die Haut geht und den ich auf jeden Fall weiterempfehlen möchte!