Rezension

Gewaltig – eindeutig zweideutig

In diesen Sommern
von Janina Hecht

Bewertet mit 5 Sternen

"Manchmal würde ich gerne einer Version meines Vaters vertrauen. Eine Antwort haben auf die Frage, wer er war."

Inhalt:
„„Mein Vater, wie er ganz ruhig den Tag beginnt, nicht ausgeglichen, aber stabil. Nie schrie er am Beginn des Tages, er ging mit vorsichtigen Schritten, manchmal etwas Weiches in seinem Gesicht. Als hätte sich erst danach etwas verändert, als führten erst der Mittag und der Nachmittag in eine andere Richtung, und an jedem Morgen hätte es die Möglichkeit zu einem anderen Verlauf der Geschichte gegeben, die ich schreibe.“

Behutsam tastet sich Teresa an ihre Kindheit und Jugend heran, ihr Blick in die Vergangenheit ist vorsichtig geworden. Erste unsichere Versuche auf dem Fahrrad an der Seite des Vaters, lange Urlaubstage im Pool mit dem Bruder, Blumenkästen bepflanzen mit der Mutter in der heißen Sommersonne. Doch die unbeschwerten Momente werden immer wieder eingetrübt von Augenblicken der Zerrüttung, von Gefühlen der Hilflosigkeit und Angst. Da schwelt etwas Unausgesprochenes in dieser Familie – alle scheinen machtlos den Launen des Vaters ausgeliefert zu sein, Situationen beginnen gefährlich zu entgleisen. Ebenso unaufdringlich wie fesselnd erzählt Janina Hecht von schönen und schrecklichen Tagen, von Ausbruch und Befreiung und vom Versuch, sich im Erinnern dem eigenen Leben zu stellen. "In diesen Sommern" ist die bewegende Geschichte einer Familie auf der unentwegt gefährdeten Suche nach einem stillen Glück.“

Schreibstil/Art:
Die junge Debütautorin erzählt wie in einem unaufgeregten Zeitraffer bzw. vielen kleinen Einblicken aus Teresas Leben. Der aufeinanderfolgende Aufbau ist zwar nicht zusammenhängend, erinnert aber an Momentaufnahmen, die ihr Leben und das ihrer Familie geprägt haben. Oft wird der Eindruck vermittelt, dass ein Kapitel anfangs noch recht harmlos ist, doch dann kommt eine unerwartete Handlung und schon ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Einiges wird nicht ganz ausgesprochen aber die Intensivität und das mit sich bringende Ausmaß ist durchaus klar.

Ungewöhnlich aber angenehm fand ich die Art, dass Dialoge eingerückt und nicht in Anführungszeichen gesetzt worden sind.

Fazit:
Ein idyllisches Cover mit einer heftigen Thematik und einer Gabe, gesammelte Erinnerungsstücke auf insgesamt 175 Seiten niederzuschreiben, ohne, dass man das Gefühl hat, etwas zu verpassen oder noch mehr zu wollen.

Die Beweggründe für die Alkoholsucht und die gewalttätigen Ausraster findet man hier nicht. Teresa selbst erzählt überwiegend aus ihrer Kind- und Jugendzeit. Sie beschreibt nicht nur die düsteren und traurigen, sondern auch innige und schöne Erinnerungen.

Für mich ein Highlight, da dieses Buch zum Nachdenken anregt und das Leben einer Familie, die Angst und Hilflosigkeit empfindet und den Launen des Vaters machtlos ausgeliefert ist, nüchtern aber erschütternd beschreibt.