Rezension

Gewaltige Dystopie

Macht
von Karen Duve

Bewertet mit 5 Sternen

Auf Karen Duve kann man sich verlassen: Wenn sie ein Thema zum Aufregen gefunden hat, dann packt sie es bei den Hörnern und zaubert ein großartiges Buch daraus! Diesmal hat sie etliche Aufreger in eine nahe Zukunft gesteckt und pervers auf die Spitze getrieben --- und mich auf ein Neues begeistert.

Karen Duve gehört für mich definitiv zu den Autoren und Autorinnen, auf deren neueste Bücher ich mich immer sogleich stürze und die einen Ehrenplatz in meinem Bücherschrank bekommen. Karen Duve gehört allerdings auch zu denen, die ich nicht immer unbedingt gerne lese, sondern vielmehr wider Willen verschlinge. Das liegt daran, dass sie mit jedem neuen Buch noch politischer, aufrüttelnder und drastischer schreibt. Was gut und richtig ist, denn auch solche Stimmen muss es geben und sollen gehört werden - es macht dadurch aber nicht immer die Lektüre zu einem Vergnügen.

"Macht" hat mich mit Wucht erwischt. Es war sprachgewaltig wie erwartet; ein Aufhören schier unmöglich.

Es geht um die unterschiedlichsten Machtverhältnisse: Politik&Wirtschaft, Kirche(/Sekten)&Staat, Polizei&Bürger, Kinder&Erwachsene, Jung&Alt, Stark&Schwach, Natur&Mensch, Täter&Opfer... all das verpackt in eine Dystopie, zeitlich nicht allzuweit entfernt, in der ein Mann eine Frau entführt hat und seitdem von allen unbemerkt in einem abgeschotteten Kellerraum seines Hauses gefangen hält. Konsquent aus seiner Sicht erzählt, erfährt man, dass gerade viele Machtverhältnisse ein anderes Gefüge haben, als wir es gewohnt sind. Frauen sind an der Macht - die wichtigsten politischen Ämter werden von Frauen bekleidet mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Die Natur wehrt sich gegen den bisherigen Raubbau durch den Menschen - enorme Hitze, die alles verdorren lässt und Stürme, die alles in Fetzen reißen stehen an der Tagesordnung; bloß ein perfider genmanipulierter Raps scheint immun zu sein und färbt die Gegend leuchtend gelb. Die Wissenschaft hat eine Droge entwickelt, mit der das Alter manipuliert werden kann - 70Jährige, die ausschauen wie 20Jährige sind keine Seltenheit. Solch ein leicht zu vollziehender Jugendkult bringt ganz eigene psychische und physische Probleme mit sich. Und neben diesen ganzen sich zuspitzenden Problemen ist ja immer noch das eine, anfängliche im Keller. Das entwickelt sich mit einer eigenen Dynamik in eine schreckliche Katastrophe...

Was hat mich die Geschichte angewidert, wie oft war ich entsetzt! Die Anlagen zu diesen strikt zuende gedachten Zuständen finden sich alle um mich herum, manches Mal war es nicht leicht in den Spiegel zu gucken, den ich vorgehalten bekam. Aber ich konnte nicht aufhören zu lesen! Das Buch ist großartig geschrieben, es treibt einen weiter und hoffentlich rüttelt es auch auf. Ein bißchen mehr gesunder Menschenverstand, ein bißchen weniger Egoismus; ich denke, das ist es, was Karen Duve uns allen wünscht.