Rezension

Gewaltiges, eindrucksvolles Plädoyer für eine Landschaft.

In jenen hellen Nächten
von Roy Jacobsen

Bewertet mit 3 Sternen

Impressionen eines Insellebens.

Die Insel Barroy, die der nordnorwegischen Helgelandküste vorgelagert ist, steht im Lebensmittelpunkt ihrer Bewohner. In vorliegendem Roman geht es um diese Insel, ihre Natur, ihre Jahreszeiten mit heißen Sommern und eisigen, stürmischen Wintern, ihre Kargheit und Erbarmungslosigkeit, aber auch um ihre Schönheit und all' die Anforderungen, denen die Menschen gerecht werden müssen, denen sie Bleibe, Besitz und spärliche Ernährung bietet – denen sie Heimat ist – so warm das Wort auch klingt und so kalt sie es dann doch nur zu geben vermag.

Die Menschen, das sind Hans Barroy und seine Frau Maria, ihre gemeinsame Tochter Ingrid, seine geistig zurückgebliebene Schwester Barbro und sein Vater Martin, ein paar einzelne Bewohner, die miteinander eher so wirken als seien sie zufällig zu einer Familie zusammengewürfelt worden, um so ein etwas stärkeres Bollwerk zu bilden gegen alle menschenfeindlichen Bedingungen, die ihnen die Insel entgegenbringt.

Der Horizont ist weit, wenn sie über die See blicken, aber der Radius ihres Lebens ist eng, weil das Wasser die Insel umfangen hält, gleichzeitig beschützend und hemmend, in machtvoller Diktatur. Die wenigen Ausflüge zum Handelskontor auf dem Festland, bei denen man kauft und tauscht was gebraucht und entbehrt werden kann, sind kurze Kontakte zu einer fernen Welt, die von alltäglich-starrem Inseldasein stets wieder aufgesogen werden.

Die Familie beugt sich dem Rhythmus der Insel wie alle Menschen es vor ihr taten, selbstverständlich und ohne Hadern gegen Härte und Unbill eines Daseins, das ein Teil ihres Erbes zu sein scheint. Veränderungen, die zaudernd getroffen werden, sind mühsam erkämpft, weil das Festhalten an Althergebrachtem den Neuerungen keinen Boden schenken mag und Misstrauen gegenüber Unbekanntem besser zu spröder Kargheit passt.

Nur die Bilder versöhnen, die sich dem Auge bieten. Alle Facetten einer überwältigenden Natur im Spiegel der Jahreszeiten mit dem starken Empfinden von glutvoller Wärme und erstarrter Kälte auf der Haut sind intensiv, eindringlich und unbeschreiblich kraftvoll.

Der Autor hat ein ungewöhnliches Buch in unsere Hände gegeben.

Seine Protagonisten verständigen sich in knapper, spartanisch-einsilbiger Form. Man spürt, dass die Sprache hier nur Beiwerk ist und eigentlich keine Rolle spielt. Was getan werden muss, ist bereits vorgegeben oder es wird durch andere Dinge klar.

Roy Jacobsens Roman lebt von seiner Naturnähe, schildert die Umwelt der Inselbewohner in all' ihrer poetischen Schönheit, ihrer unerbittlichen Gesetzmäßigkeit und ihrer Bedeutung für Leben und Tod der von ihr regierten Geschöpfe. Diese Bilder sind so kraftvoll und unzweifelhaft, als stammten sie aus einer Zeit, als die Menschen noch in der Furcht vor ihren Göttern standen, die sie um Schutz und Hilfe baten, gleichzeitig fremd und doch ehrfurchtgebietend.

Für mich war das Lesen eine zwiegespaltene Erfahrung. Einerseits konnte ich der unbestrittenen Eindringlichkeit des Werks meine Achtung nicht versagen, andererseits habe ich bis zum Ende keine Möglichkeit gefunden, in das Buch einzudringen oder mich gefühlsmäßig zu engagieren. Für mich blieben die Akteure seltsam blutleer und fern, das von ihnen Erlebte blieb zwischen den Seiten stecken und rührte mich nicht an.

So war es also in keinster Weise ein Buch für mich, und ich lege es mit Bedauern zurück. Niemand trägt Schuld an einer solchen Enttäuschung, man gewinnt nur die deprimierende Erkenntnis, dass es nicht gepasst hat.