Rezension

Glänzt durch den Schreibstil

Der unsichtbare Garten - Karine Lambert

Der unsichtbare Garten
von Karine Lambert

Allgemein

Nach den ersten paar Seiten bin ich fest davon ausgegangen, dass dieses Buch ein Jahreshighlight wird. Leider ist es nicht so gekommen, doch begeistert lässt es mich dennoch zurück.
Berührend und packend war der Schreibstil. Die Kapitel waren kurz und die Sätze knapp und griffig. Ich spürte Vincents Panik, als er von seiner Diagnose erfuhr. Den inneren Konflikt, was er mit seiner nun kurzer Zeit anfangen soll. Dieser Schreibstil sollte meine Begeisterung im Nachhinein jedoch dämmen. Sobald Vincent blind war, blieb der Schreibstil exakt gleich und so wirkte noch immer alles gehetzt. Die Szenen waren oftmals viel zu kurz und ich konnte kein richtiges Gefühl mehr aufbauen. Es kehrte einfach keine Ruhe ein. 
Es war zwar schön, zu sehen, wie schnell sich Vincent in sein neues Leben einfindet, doch für jemanden, der 35 Jahre seines Lebens sehen konnte, schien alles sehr reibungslos abzulaufen. Vincent wird blind, erst ist alles schrecklich, nach nur wenigen Wochen ist alles schon annehmbar und gut, er hat massig helfende Hände um sich herum und auch sein Happy End. Sein Prozess fehlte im Buch. Viel zu wenige Szenen, wo er effektiv Hilfe brauchte, oder ihm etwas schwer fiel. Es wirkte, als wenn er einmalig Hilfe bräuchte und dann ab dem zweiten Mal schon alles alleine kann. Oder die Probleme einfach nicht mehr auftauchen. 
Mehr Entwicklung machten tatsächlich all die Nebencharaktere durch. Sie schienen fast im Vordergrund zu stehen. Manche wanden sich ab, manche mussten mit seiner Diagnose kämpfen, doch erhalten nach und nach die Leichtigkeit zurück, anderen machte es von vornherein nichts aus.
Schade fand ich auch, dass der Garten überhaupt nicht im Vordergrund stand. Titel, wie Klappentext waren ihm gewidmet, doch einen Platz im Buch, fand dieser erst sehr spät. Ich hatte gehofft, mehr davon mitzubekommen, wie die Natur Vincent hilft. Mittig im Buch will er ihn zum ersten Mal bestellen, kauft auch Samen, doch es ist nicht recht klar… Hat er sie nun gepflanzt, wie war die Arbeit für ihn, was gibt es seiner Seele? Im späteren Verlauf wird er mehr thematisiert und dann auch mit berührenden Momenten versehen.
Schwierig waren auch die vielen Fragen, die sich in meinem Kopf anbahnten und die zwar später erklärt wurden, aber erstmal im Raum standen und sich falsch anfühlten. So schrieb Vincent weiterhin Tagebuch und bis zur Auflösung, machte dies kaum Sinn für mich. 
Dadurch, dass ich privat mit zwei blinden Menschen zu tun habe, wusste ich auch schon einige Lösungen und Herangehensweisen aus dieser Welt und so kam mir gerade dieses "Einfinden" in den neuen Lebensstil zu kurz. 

Charaktere

Im Vordergrund steht Protagonist Vincent, der mit 35 Jahren erblindet. Er scheint ein toller Kerl zu sein. Natürlich und offen. Er hat ein fest Leben, plant eine Zukunft, bis alles zusammen bricht. Das sind Momente, in denen der Mensch entweder komplett zusammen bricht, oder sein Leben überdenkt. Vincent überdachte sein Leben, fragte sich, was er nun wolle. Dabei schien er offen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Phasen, wo er grummelig war, andere anfuhr und aufbrausend wurde, schienen mehr als authentisch. Er stand für sich ein, als jeder wusste, was gut für ihn ist und blieb sich selbst stets treu. Ein toller Charaktere.
Viele Charaktere bekommen eine Tiefgründigkeit, ohne explizit im Vordergrund zu stehen. Mit nur wenigen Sätzen arbeitet die Autorin Feinheiten heraus. Positive und negative Eigenschaften. Nichts kam mir vor „wie aus einem Roman“.

Schreibstil & Sichtweise

Die Sätze waren kurz, die Kapitel noch kürzer. Ein Schreibstil, an den man sich erstmal gewöhnen muss, doch der die Emotionen ziemlich genau auf den Punkt bringt. Der Schreibstil war mein persönliches Highlight in dem Buch und macht mich sehr neugierig auf weitere Bücher der Autorin. Zudem gab es viele Zeitsprünge.
Geschrieben wurde das Buch aus der personalen Sichtweise, also in der dritten Person.

Cover & Titel

Selten bin ich so sehr in ein Cover verliebt! Und ich achte schon sehr auf sowas. Das Buch selbst hat einen blumigen Einband. Sehr farbenfroh. Er ist eine Augenweide. Doch viel schöner finde ich noch, dass er mit einer weißen Schutzfolie umhüllt ist, die den drunterliegenden Blumen einen gewissen Glanz gibt. Es ist im warsten Sinne des Wortes ein unsichtbarer Garten, beziehungsweise aus Vincents Sicht: Ein fast unsichtbarer Garten. Unter der Oberfläche blüht das Leben.
Der Titel ist sehr offensichtlich passend. Vincent bestellt den Garten seines Großvaters, doch ist er nunmal blind. So ist der Garten quasi unsichtbar. Doch er bekommt im Laufe der Geschichte eine weitere Bedeutung. Sehr schön.

Zitat

„In den ersten Jahren probiert man sich aus und hat seinen Platz noch nicht gefunden. Wenn man älter wird, denkt man nach und wird vielleicht ein klein wenig weiser. Ich sage ‚vielleicht‘, weil es niemals absolute Sicherheit gibt, wirklich niemals. Wenn ich noch einmal jung wäre, würde ich mich viel früher der Langsamkeit verschreiben. Beeil dich mit der Langsamkeit.“
– Seite 242

Fazit

Eine berührende Geschichte, die in erster Linie durch den sehr individuellen Schreibstil glänzen konnte. Ich durchlebte die Emotionen des Protagonisten und begleitete ihn persönlich auf seiner Reise. Es hat jedoch auch viel Luft nach oben.