Rezension

Gleichberechtigt überfordert

Neujahr - Juli Zeh

Neujahr
von Juli Zeh

Bewertet mit 3 Sternen

Neujahr von Juli Zeh, erschienen im Luchterhand Literaturverlag am 10. September 2018

Henning ist ein emanzipierter Mann, der sich neben dem Beruf auch noch um die Kinder kümmert. Da er beruflich nicht so zurückstecken kann, arbeitet er nun zum halben Gehalt fast noch mehr als er arbeiten würde, wäre er die Zeit im Büro. Dabei vernachlässigt er seine Bedürfnisse. Recht spontan hat er für seine Familie, seine Frau Theresa und zwei Kinder, ein preiswertes Haus auf Lanzarote für die Weihnachtstage und den Jahreswechsel gebucht. So richtig zufrieden ist die Familie mit dem Trip nicht und Henning, der sich für die ganze Zeit ein Rad geliehen hat entscheidet sich plötzlich am Neujahrsmorgen, nachdem der Silvesterabend eher ein Desaster gewesen ist und Theresa auch noch mit einem attraktiven Franzosen geflirtet hat, dazu eine bekannte Radtour zu machen. Untrainiert wie er eigentlich ist, vergisst er Ausrüstung und powert sich völlig aus. Da nimmt eine freundliche Bewohnerin des Dorfes wo er strandet ihn auf und bringt ihn zu ihrem Haus. Dort erinnert er sich zurück an einen Besuch in diesem Haus als er noch ein kleiner Junge gewesen ist.

Henning verdient weniger und glaubt deswegen, dass er mehr im privaten zur Familie beitragen muss, was er meint würde Theresa auch erwarten und lässt ihn das spüren. Trotzdem ist Theresa der Dreh- und Angelpunkt der Familie und Henning fühlt sich als Versager. Etwas was wir in der Literatur so noch nicht kennen. Wenn Frau sich wie Henning fühlt wird da ein Frauenroman draus, schlimmstenfalls mit Tipps aus der Cosmopolitan wie andere Frauen das bisschen Haushalt mit Kindern doch einfach mal zwischen zwei Meetings weglächeln.

Henning zweifelt nicht seine Aufgabe an, er zweifelt sich und seine Fähigkeiten an. Frauen haben Millionen Leidensgenossinnen in ihrem Fehlen die Perfektion zu erreichen. Henning versucht verzweifelt nicht zu scheitern und da überfällt ihn immer wieder dieses „Es“. Diese Panikattacken, die ihm den Schlaf und die Luft rauben, die organisch keine Ursache haben und die Theresa an irgendeinem Punkt nur noch auf den Keks gegangen sind. Er strampelt sich ab um diesmal das Ziel, welches er sich gesetzt hat zu erreichen, diesen Vulkanberg am ersten-ersten des neuen Jahres zu bezwingen.

Bis dahin gefiel mir die Geschichte eigentlich ganz gut. Juli Zeh zeichnet wieder virtuos die Charaktere der Protagonisten und eingedenk der anderen Geschichten, die ich von der Autorin gelesen hatte erwartete ich nun noch Einiges. Gekommen ist dann aber eine etwas gespenstische Geschichte aus der frühen Kindheit des Henning die zwar nett erzählt wurde, die mich aber nicht wirklich interessierte.

Mir kam es so vor als hätte Juli Zeh einfach mal ausprobieren wollen wohin die Geschichte eines überforderten Mannes führen wird und was seine Panikattacken wohl ausgelöst haben mag. Die Auflösung der Geschichte ist dann auch kein fünf Sterne Menü, sondern eher Burger King, schnell runter gewürgt, ohne wirklich zu wissen was man da vor sich hat, schnell verdaut aber nicht satt machend. Einzig der wie immer grandiose Schreibstil der Story hat mich bis zum Ende getragen. Kein Juli Zeh den man unbedingt gelesen haben müsste.