Rezension

Glückliche Familie

Das wilde Leben der Cheri Matzner - Tracy Barone

Das wilde Leben der Cheri Matzner
von Tracy Barone

Zuerst einmal: Titel und Coverbild passen ganz und gar nicht. Die Frau auf dem Cover passt nicht zu einer Frau, die Polizistin war und derzeit als Universitätsdozentin (Religionswissenschaft) arbeitet und ihr Steckenpferd in der Keilschrift - Forschung sieht. Sie führt auch kein wildes Leben. Der Originaltitel "Happy family" passt wesentlich besser.

Im Mittelpunkt des Romans steht die mittlerweile 40 jährige Cheri Matzner. Ihre Ehe ist an einem Tiefpunkt. Trotz aufwendiger Versuche wird sie einfach nicht schwanger. Zudem erkrankt ihr Ehemann Michael schwer. Gleichzeitig stagniert ihr Forschungsprojekt aufgrund des beginnenden Irakkriegs und sie wird wegen eines Vorfalls sogar von der Uni suspendiert. Sie stürzt in eine Krise.

In Rückblenden erfährt der Leser ihren Lebensweg, der schon recht holprig begann. Von einem jungen cracksüchtigem Mädchen geboren, im Krankenhaus zurückgelassen, kurzzeitig in einer Pflegefamilie untergebracht und dann von der gutsituierten Familie Matzner adoptiert.

Die Beziehung zu den Eltern entwickelt sich eher schwierig. Von ihrer Mutter Cici fühlt sie sich erdrückt, von ihrem (mittlerweile verstorbenen) Vater Sol nicht gemocht. Auch Cici und Sol haben ihre Geschichte und es gibt Schwierigkeiten in ihrer Ehe. In dieser Familie wurde nie ehrlich gesprochen und es existierten mehrere – toxische - Familiengeheimnisse. Es gab Lügen, Missverständnisse, Schweigen und doch auch immer wieder Annäherungen und den Wunsch nach Liebe und Zusammenhalt.

Cheri entwickelt sich zu einer starken, aber auch zerrissenen Frau. Sie behauptet sich in einer Männerwelt und stößt doch immer wieder an Grenzen. Zudem versäumte sie bis zum Ausbruch ihrer Krise, sich ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich ihren Ängsten zu stellen und zu wissen, wer sie wirklich ist. Was macht ihre Identität aus, warum ist sie so wie sie ist? Was prägt mehr- die Gene oder die Umwelt?

Der Schreibstil zog mich sehr in den Bann. Die Autorin kann toll beschreiben, es liest sich stets leicht, flüssig und klug. An einigen Stellen hätte es aber durchaus etwas kürzer sein können. Ich begann kurzzeitig ungeduldig, auch etwas gelangweilt zu werden, war nicht sicher, worauf den nun alles hinauslaufen solle. Erst am Ende begrifff ich, dass "einfach nur" die Entwicklung der Cheri Matzner erzählt wurde, wie sie lebte und mit ihren Beziehungen und Krisen umging. Wie sie letztendlich zu sich selbst findet und ein Stück weit einen Frieden mit sich und ihrer Familie finden kann. Einige Szenen berührten dabei sehr, waren sehr eindrücklich und hallten lange nach. Ich konnte mich in Teilen ganz gut mit Cheri identifizieren und fand etliche der Figuren sehr sympathisch.

Die Figuren, besonders natürlich Cheri, sind als komplexe Persönlichkeiten tief gezeichnet, entwickeln sich im Laufe der Zeit und sind somit sehr glaubhaft. Auch die Beziehungen der Figuren sind sehr glaubhaft, nämlich vielschichtig und ambivalent – wie im realen Leben. Vor allem die familiären Beziehungen werden angesehen: zwischen Mutter und Tochter, Vater und Tochter sowie zwischen den Eheleuten der zwei Generationen.

Fazit: Die Figuren, ihre Entwicklungs- und Beziehungsbeschreibungen sind die besonderen Stärken des Romans, machen ihn interessant und lesenswert. Er ist flüssig, spannend und intelligent geschrieben, manchmal allerdings etwas zu ausufernd. Er berührt und wirkt nach.