Rezension

Glückssuche in Taormina

Die Lichter unter uns - Verena Carl

Die Lichter unter uns
von Verena Carl

Bewertet mit 5 Sternen

Anna und Jo verbringen mit ihren Kindern  im Herbst eine Urlaubswoche in Taormina/Sizilien, vor 12 Jahren das Ziel ihrer Hochzeitsreise. Da Jo freiberuflich für eine Werbeagentur arbeitet und im Beruf zunehmend von Berufsanfängern verdrängt wird, wundert es nicht, dass Existenzängste ihre Beziehung belasten. Anna wirkt depressiv, hadert mit ihrem Aussehen und scheint am Anfang des Urlaubs schon den Abschieds-Blues zu spüren. Auch das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern scheint problematisch. Anna hat ein konstant schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kindern, sie fühlt sich als Mutter unvollkommen. Obwohl nicht zu übersehen ist, dass Judith eine Papa-Tochter ist, konkurrieren die Eltern um die Zuneigung ihrer Zehnjährigen, ein sensibles, forderndes Kind, das  Zahlen in Farben wahrnehmen kann.

Das Hotel, in dem sie während ihrer Hochzeitsreise übernachteten, können Anna und Jo sich nun nicht mehr leisten. Dort sind Alexander, ein Rechtsanwalt Anfang 50, und seine schwangere Begleiterin abgestiegen. Alexanders erwachsener Sohn Florian kommt zu Besuch, der in Italien studiert, wie sein Vater glaubt. Alexander war bisher überzeugt, dass er seinen nichtsnutzigen Sprössling schon irgendwo unterbringen wird, ohne sein Netzwerk der Gefälligkeiten dabei zu stark zu strapazieren. Vater und Sohn inszenieren den Code des ehemaligen Berliner Großbürgertums, doch  ihre Fassade zeigt bereits Risse. Indem Anna sich in den zynischen Womanizer Alexander verguckt, rettet sie in die Gegenwart eine vage Spur des alten Glanzes, den sie früher mit Taormina verbunden hat.  An ihrem Herzensort hätte ich  ihr Romantischeres gewünscht als ausgerechnet diesen Typen!

Rückblenden zeigen, wie Alexander vor einer Untersuchung in der Onkologie eines Berliner Krankenhauses flüchtet und in den dadurch gewonnen 24 Stunden im Berliner Beach Club Zoe kennenlernt. Krankheit ist in seinem Selbstbild nicht vorgesehen und macht ihn völlig hilflos. Zoe spielt nun an seiner Seite in Italien die Society-Tusse und scheint etwas zu verbergen zu haben.

Vor der melancholischen Hintergrundmelodie der Nachsaison in Taormina treffen fünf schwierige erwachsene Figuren aufeinander, deren Konflikte am Urlaubsort zu eskalieren drohen. Eine Ehe, die dem Alltag nicht mehr standhält, Kinder, die die Entfremdung ihrer Eltern spüren, Väter, die ihren Söhnen die eigenen Träume aufzwingen - aus unterschiedlichsten Gründen entgleitet Verena Carls Figuren ihr Leben. Es ist mir nicht leicht gefallen, an diesen Figuren sympathische Züge wahrzunehmen; doch  das Motiv des Urlaubsortes vergangener Zeiten hat mich dennoch gefesselt. Als genaue Beobachterin nimmt die Erzählerin bei ihren Figuren selbst feine Zeichen auf und spürt der Frage nach,  was Glück ist und wo die Fähigkeit zum Empfinden von Glück sich versteckt.