Goethe in der heutigen Zeit – ein interessanter Gedanke.
Bewertet mit 4 Sternen
Die Idee, Goethe in die heutige Zeit zu transportieren fand ich sofort total spannend und wollte gerne erleben, wie dies vonstatten gehen kann.
Eine verunsicherte Protagonistin namens Anna mit dem Wunsch, das Abitur nachzumachen, um anschließend Medizin studieren zu können. Ein guter Anfang. Das Problemfach Deutsch lässt sie verzweifeln und plötzlich sitzt Goethe, aus dem Jahr 1786 kommend, in ihrer WG- Küche. Im Laufe der Geschichte erfahren wir sehr viele Details aus seiner Biographie, bekannte und weniger bekannte wie die seiner Schwester Cornelia. Humorvoll wird die Beziehung zwischen einer meist grantigen Anna und dem entsprechend seiner Zeit meist höflichen Goethe dargestellt. Besonders erwähnenswert und schön ist der Sprachkontrast, den Goethe bleibt sprachlich in seiner Zeit und Anna ist ein Kind ihrer Zeit. Sehr schön erkennbar ist die Entwicklung der Hauptperson, was die Definition eines Entwicklungsromans sehr gut erfüllt.
Ich habe gut in die Geschichte reingefunden. Die Vorstellung der Charaktere war mir jedoch zeitweise etwas zu langatmig und nach dem ersten Kapitel etwas zähflüssig. Als Goethe ins Geschehen eingreift, wird es kurzweilig, wozu der Sprachkontrast sicherlich beiträgt. Er hätte gerne früher auftauchen dürfen. Die Entwicklung der Geschichte ist logisch aufgebaut und gefällt mir sehr gut. Dass Goethe die Errungenschaften der Moderne so peu à peu entdeckt, lässt so manche Kleinigkeit in neuem Licht erscheinen. Unterhaltsam kommt das WG-Leben daher. Goethes Einstellung zu dem Leben in seiner Zeit, insbesondere der Rolle der Frau, wird überzeugend beschrieben. Viele emotionale Momente lockern die Geschichte auf, ebenso die lustigen Einspieler. Zum Ende hin wird die Entwicklung von Anna sehr deutlich, was den Kreis des Entwicklungsromans schließt.
Die Details der Goeth'schen Biographie sind sehr gut recherchiert und zeigen nicht nur hinlänglich Bekanntes zutage. Ich kann diesen Roman allen Literaturliebhabern empfehlen, die Goethe einmal aus einer anderen Perspektive erleben möchten.