Rezension

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Golddurchwirktes Seemannsgarn

Das weiße Gold der Hanse - Ruben Laurin

Das weiße Gold der Hanse
von Ruben Laurin

Bewertet mit 4 Sternen

Der kühle Norden übt eine nicht geringe Faszination auf mich aus. Ich liebe den Klang der langgezogenen Vokale in den verschiedenen Dialekten der Küstenbewohner und würde zu gern Platt verstehen und sprechen können. Auf den ersten Blick scheint der Nordmensch nicht viele Worte zu verlieren und schulterzuckend durch den Tag zu laufen, hat er aber Freundschaft mit dir geschlossen, gibt es keinen herzlicheren, verlässlicheren Menschen an deiner Seite. Vielleicht liegt das am rauen Klima der See oder an der langen, stolzen Geschichte der Hanse. Die bekannteste nordische Familie der Literatur sind wohl die Buddenbrooks und die berühmteste nordische Saga handelt von einem Seeräuber, der im Tod noch seine gesamte Mannschaft gerettet hat. Heute befeuert man diese Legende alljährlich mit den Störtebeker-Festspielen. In Ruben Laurins Lübeck-Roman wird das Piratentum allerdings weniger romantisiert. Im Gegenteil, ein junger Kapitänssohn verliert Vater und fast auch sein eigenes Leben durch einen Piratenangriff. Er wird von der Mannschaft eines Wismarer Kapitäns mit sadistischem Charakter aus dem Wasser gezogen und von Rebecca, der jüdischen Sklavin des Kapitäns, gerettet. Der 8jährige Junge vergisst während des Deliriums Name und Herkunft und wird von Rebecca Moses getauft. Moses ist zäh, schlau und stur. Er findet seinen Weg heraus aus der Sklaverei in ein selbstbestimmtes Leben.

Laurins Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Während im Prolog ein Junge seinen Vater und seine Heimat verliert, leidet ein junger Maler in Lübeck des Jahres 1275 an schwerem Liebeskummer. Seinem Auftraggeber Bertram Morneweg liegt viel an der künstlerischen Arbeit des jungen Mannes, denn dieser soll das von ihm gestiftete Heiligen-Geist-Hospital mit christlichen Motiven bebildern. Der Liebeskummer ist der Arbeit nicht zuträglich, der Künstler Johannes in seiner Verzweiflung mit dummen Gedanken ausgefüllt. Morneweg lädt Johannes zum Essen ein und beginnt ihm die Geschichte von einem schiffbrüchigen namenlosen Jungen zu erzählen. Dem Leser wird recht schnell klar, dass Morneweg über sein eigenes Leben berichtet, Johannes braucht etwas länger, um diesen Schluss zu ziehen. Den Hauptteil der Erzählung macht die Geschichte über den jungen Moses aus. Zwischendurch springt die Story in die vermeintliche Gegenwart zu Morneweg. Ein interessanter Erzählkniff, den Ruben Laurin hier anwendet und der gut funktioniert. Vergangenheit und Gegenwart bleiben konstant spannend, auch wenn Dinge vermeintlich erzählerisch vorweg genommen werden. Für mein vor Aufregung zittriges Herz war es eine ungemeine Beruhigung zu wissen, dass der schwierige Weg des jungen Moses ein gutes Ende finden würde. Die Steine, Seemeilen und Wellen von Missgunst, die ihm in den Weg gelegt wurden, halten den Spannungsbogen aufrecht, mit Vorfreude auf die glücklichen Dinge, die ihn im passieren müssen. Neben diesem biografischen Plot ist die Historie zur Hanse und dem Seehandel um 1240 eine unerwartet aufschlussreiche Lektüre. In meinem alten Schulatlas bin ich den Wegen der Seefahrer von Lübeck nach Visby auf Gotland bis nach Nowgorod gefolgt und musste doch ab und an Wikipedia bemühen, um die kriegerischen Auseinandersetzungen dort oben im östlichen Norden nachzuvollziehen. Dass vor knapp 800 Jahren der Handel schon so wichtig für die Bevölkerung war und sich über ganz Europa bis nach Russland erstreckte, ist faszinierend zu erfahren, verpackt in diese Geschichte über die Entwicklung und den Aufstieg eines Jungen, den man aus der Ostsee gefischt hat.

Laurin spinnt scheinbar mühelos viele Fäden und lose Enden zusammen, packt große Themen der Menschheit wie Religion, Sklaverei, Krieg und Freibeutertum anschaulich und überzeugend in eine Handvoll Charaktere und hält den Leser erzählerisch auf 600 Seiten bei guter Laune.