Rezension

Goldfarmer - oder: Wert ist, was andere für wertvoll halten

For the Win - Cory Doctorow

For the Win
von Cory Doctorow

Bewertet mit 5 Sternen

Drei Jugendliche aus drei Kontinenten, die im Online-Rollenspiel Swartalfheim Warriors gemeinsam in einer Gilde spielen: Matthew Fong (Shenzen, China), Wei Dong (Los Angeles, USA), er trägt nur im Spiel einen chinesischen Namen und heißt außerhalb der virtuellen Welt Leonhard, und Mala (Mumbai, Indien). Matthew und Mala bestreiten ihren Lebensunterhalt als Goldfarmer. Sie verkaufen Spielwährung und Artefakte aus dem Onlinespiel, nachdem sie den Besitzer des Internetcafés und einen weiteren Boss an ihren Einnahmen beteiligt haben. Wei Dong verbringt ganze Nächte am Rechner; denn seine Gildies, seine Mitspieler aus Asien, sind zu dieser Zeit aktiv. Wegen seiner Spielsucht versiebt der Siebzehnjährige seinen Schul-Abschluss. Keiner der drei hat sein Online-Spielen bisher infrage gestellt - schließlich verdient man gut damit. Von Malas realem in einer Scheinwelt verdienten Geld lebt ihre ganze Familie. Als General Robotwallah ist Mala mit ihrer "Armee" so erfolgreich im Spiel, dass sie das lukrative Angebot erhält, gegen Bezahlung illegale Spielgold-Händler zu vernichten. Das Gildenmitglied Nor aus Singapur stellt Mala übers Headset während eines Spiels die provozierende Frage: Wer verdient wirklich an diesem Spiel - und sind wir Online-Spieler nicht Arbeiter, die gemeinsam für ihre Rechte kämpfen sollten?

Ein weiterer in der Spielerwelt Aktiver ist Connor Prikkel, von Beruf Ökonom, der für den Coca-Cola Konzern als Betreiber des Spiels berechnet, wie Spiele funktionieren. Seine Prikkel-Formel: Anspruch + Freude + Belohnung = Spaß. Anstatt seinen Uniabschluss zu machen, hatte Connor an mehreren Rechnern parallel virtuellen Schnickschnack zusammengerafft und darauf spekuliert, dass der Wert der gehorteten Ausrüstungsgegenstände steigen wird. Während in Shenzhen der erste Streik von Onlinearbeitern vorbereitet wird, versucht Nor, Gewerkschaftern alter Schule zu erklären, wie dringend ihrer Meinung nach Onlinespieler als Arbeitnehmer den Schutz einer Interessenvertretung benötigen. Ähnlich wie Doctorows junge Helden in Little Brother nutzt Nor für ihre Aktionen das Netzwerk der Onlinespieler - alle Textilarbeiterinnen spielen Online-Rollenspiele. Fabrikarbeiterinnen und Spieler haben einige Gemeinsamkeiten. Es gibt in Asien genug hungrige junge Leute. Während die einen noch gegen 22-Stunden-Schichten und ihre Abhängigkeit von Internet-Café-Betreibern aufmucken, rücken schon wieder neue willige Arbeiter nach. Anders als verwöhnte amerikanische Kids wie Leonhard verlieren Mala und Matthew ihre Lebensgrundlage, wenn der Betreiber des Spiels ihren Account sperrt. Leonhard spielt Revolution; die anderen kämpfen um ihre Existenz und müssen damit rechnen, zu jahrelangem Arbeitslager verurteilt zu werden. Die Protestbewegung in China findet Unterstützung bei der Moderatorin eines Piratensenders, die im Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden sehr erfahren ist, und profitiert schon bald von der weltweiten Vernetzung durch das Internet.

Handlungsorte in drei Staaten, Hauptfiguren an der Schwelle zum Erwachsenwerden und die virtuelle Ebene des Onlinespiels sind die Zutaten zu einem spannenden All-Age-Roman, für den ich gern eine Nacht durchgelesen habe. Cory Docotorow handhabt reale und virtuelle Ebenen der Geschichte geschickt und lässt seine Protagonisten einander am Beispiel magischer Schwerter erklären, wie die Wirtschaft kapitalistischer Staaten funktioniert. "Wert ist, was andere für wertvoll halten." Die umfangreichen Erklärungen gehen leider zu Lasten der Spannung. Den mittleren Teil des Buches fand ich entschieden zu lang; denn der Bezug zu den inzwischen mehr als drei Hauptfiguren an mehreren Orten ging mir auf der langen Strecke verloren. Bemerkenswert finde ich, wie treffend Doctorow die Abläufe des Spiels beschreibt und mit wie wenig Fachbegriffen aus der Gamerwelt sein Glossar auskommt. Die Liste der Experten, bei denen der Autor sich für Rat und Unterstützung bedankt, spricht für ein komplexes Thema.

Das Schicksal des Wei Dong und seiner Gildies, verknüpft mit meiner Idee, ob es außer Connor mit dem Riesenkonzern im Rücken vielleicht noch einen geheimnisvollen Mister X gibt, der an Swartalfheim Warriors verdient, war ein außergewöhnliches Leseerlebnis für mich. Ähnlich wie andere Rezensenten erwarte ich von diesem All-Age-Roman ungewöhnliche Vorgänge: Schenkt man das Buch einem Jugendlichen, werden es möglicherweise die Eltern eher lesen als der Empfänger; empfiehlt man es Erwachsenen, werden Jugendliche ihre Eltern überreden, ihnen das Buch zuerst zu überlassen ...