Rezension

Grausam realistisch geschrieben

Die Lieder, das Töten - André Pilz

Die Lieder, das Töten
von André Pilz

Bewertet mit 4 Sternen

Ein atomarer Super-Gau in Europa.  Möchte darüber jemand nachdenken? Wohl kaum. André Pilz tut es trotzdem und beschreibt das Szenario in seinem Roman mittels eines jungen Protagonisten Ambros Pfeiffer, der in die Sperrzone geschickt wird, um dort im Auftrag eines Sicherheitsobersten, genannt der Marshall, einen Mann ausfindig zu machen und zu töten, der als Terrorist verdächtigt wird. Ambros wurde bereits zu Beginn der Katastrophe im atomaren Regen verstrahlt und hat nichts mehr zu verlieren.

Immer den Tod vor Augen, in dem Wissen, dass alles, was er isst oder trinkt, verseucht ist, versucht er, seinen Auftrag zu erfüllen. Während er zunächst im Haus der Mutter des Gesuchten eher passiv auf das Erscheinen des Gesuchten bzw. auf neue Befehle wartet, verfällt er immer wieder den Erinnerungen an die Vergangenheit und den Tod seiner Freundin Mona, an dem er sich schuldig fühlt. Die Erinnerungen fördern die Abhängigkeit von Tabletten, die ihn abstumpfen.  Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt. 
Durch Zufall schließt er sich einer Gruppe herumstreunender Zigeunern an, die von einer hübschen Latina angeführt  und selbst von den Gesetzeshütern verfolgt werden. Ambros verliebt sich in die Anführerin Lucy, gerät immer mehr in ihren Bann und in gefährliche Kreise, die ihm neue Erkenntnisse über das Leben, das Sterben und das politische Ränkespiel außerhalb dieser Zone liefern. Seine Loyalität dem Auftraggeber gegenüber wird immer öfter auf die Probe gestellt. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen unweigerlich.

Die Menschen, denen er in und um die Sperrzone mit mehr oder weniger verdientem Respekt begegnet, leben dort als Ausgestoßene, ohne Gesetz, auf der Flucht vor dem Tod, den Plünderern und dem Militär. Ambros versucht, trotz des Schreckens um ihn herum und der grausamen Erlebnisse, "human" zu bleiben, sei es im Umgang wie im Charakter. Der Gutmensch wird von der Hoffnungslosigkeit seiner Situation erstickt. Hinzu kommt die Liebe, die er für Lucy empfindet, welche jedoch ihre ganz eigenen Pläne verfolgt und andere Menschen benutzt, wie sie selbst benutzt wird. Ein Buch, in dem es kein Happy End gibt und geben darf - für niemanden.

Die Sprache des Autors ist nüchtern und schmucklos, manchmal unterkühlt. Allerdings  erscheint mir die Vielzahl der vulgären Ausdrücke, welche wohl die Entmenschlichung der betroffenen Personen in einer solchen Situation darstellen sollen, deutlich übertrieben. Auch ohne sie ist der gesellschaftskritische Aspekt in diesem Roman nicht zu überlesen.

Auf den ersten hundert Seiten wirkt die Geschichte durch die andauernden Reflektionen des Protagonisten in die Vergangenheit etwas langatmig, nimmt aber danach an Fahrt auf. Mir persönlich hat der Roman - obwohl thematisch mit realistischer Grausamkeit erzählt und szenisch flüssig geschrieben - nicht so richtig zugesagt, doch so etwas liegt, wie immer, im Auge des Betrachters.