Rezension

Großartig!

Fünf Lieben lang
von Andre Aciman

Dieser Roman hat mich wahnsinnig überrascht und sehr beeindruckt.

Der Leser wird Zeuge einer detaillierten und spannenden Innenschau eines Mannes, zumeist während der Verliebtheitsphase zu ganz unterschiedlichen Menschen.

Der Roman ist aus Sicht von Paul geschrieben. Es beginnt mit dem 12jährigen Paul, der sich im jährlichen Sommerurlaub in Italien in den Tischler des Ortes verliebt. Und endet mit dem erwachsenen Paul in New York, weit über den 50ern (?), der sich in eine deutlich jüngere Journalistin verliebt.

Paul kommt aus einer gutsituierten und sehr gebildeten Familie. Er hat studiert, spielt Tennis und pflegt einen recht festen Freundeskreis. Er verliebt sich sowohl in Frauen als auch in Männer und kreist immer wieder um die Liebe, das Verliebtsein, das Begehren. Er redet sehr viel von "der Liebe". Aber weiß er eigentlich wirklich, wovon er da spricht?

Paul führt tiefe Monologe, man lernt ihn daher recht gut kennen. Man folgt seinen Gedanken, Sehnsüchten, Wünschen, Zweifeln und Schwärmereien. Man erfährt seine Sinnlich- und Zärtlichkeit, seine Hingabe, aber auch seine boshaften Neid- und Rachegedanken. Oft wirkt er nach außen hin komplett anders, als sein Innerstes tatsächlich denkt und fühlt.

Es ist manchmal sehr anregend, manchmal sehr berührend, aber manchmal auch sehr ärgerlich, auf jeden Fall aber absolut spannend, seinen Gedanken zu folgen. Ich war wirklich sehr fasziniert und eine ganze Palette von Gefühlen wurde bei mir erzeugt. Immer wenn ich zudem dachte, naja, was soll jetzt noch kommen, gab es wieder eine ziemliche Überraschung.

Einige Ansichten und Verhaltensweisen verstand ich nicht, in anderen Situationen konnte ich mich wiederum sehr gut wiederfinden.

Ich bin hin- und hergerissen, ob ich ihn eigentlich sympathisch oder doch eher unsympathisch finde. Er tut immer wieder Dinge, die ich eher unsympathisch finde, Affairen führen, nicht ehrlich reden. Und dennoch will er eigentlich niemandem schaden, scheint ein fairer, freundlicher und respektvoller Mensch zu sein, der letztendlich vor allem sich selbst am meisten betrügt. Er ist ein wahrhaftiger Meister der Selbsttäuschung, wobei er in manchen Momenten durchaus seine Themen klar benennen kann..:) Ein wahrlich widersprüchlicher und moderner Mensch, der sich nicht gern festlegt, mit einer gewissen Angst vor Nähe und doch auch immer wieder Lust auf Nähe.

Ich fand diesen Roman überaus lehrreich und bin tatsächlich sehr dankbar, an einer so ehrlichen und auch sehr überzeugenden Innenschau eines Menschen teil haben zu können. Man wird zudem eingeladen, über die Liebe und das Verliebtsein nachzudenken, über Sex und Hingabe, über Lebensglück und über Lebenslügen, über die Jugend und das Alter, über die ältere und die neuere Generation und das auf eine wirklich wundervolle literarische und poetische Art und Weise.