Rezension

Großartig

Die Tanzenden - Victoria Mas

Die Tanzenden
von Victoria Mas

Paris 1885: Krankenschwester Geneviève arbeitet in der Pariser Psychiatrie Salpêtrière, wo sie sich um die Patientinnen, Hysterikerinnen- Frauen mit Nervenleiden, kümmert. Der Leiter der Klinik Professor Charcot zählt als Koryphäe auf seinem Gebiet, der weltberühmt Wissenschaftler möchte durch seine Forschung die Medizin voranbringen. Seine Vorlesungen im Theater des Krankenhauses mit Hypnosedemonstrationen an echten Patientinnen gelten als Sensation. Dabei werden bei den Kranken vor Publikum echte Anfälle provoziert. Auch Geneviève, die immer noch unter dem Tod ihrer Schwester leidet, bewundert Charcot für seine Arbeit.

Als die junge Eugenie, die behauptet, mit Toten sprechen zu können, in die Nervenheilanstalt eingewiesen wird, ändert sich für Geneviève einiges. Auch der von vielen herbeigesehnte, jährliche öffentliche Ball, an dem die Insassinnen wie ganz normale Frauen tanzen und sich amüsieren dürfen und dabei von Zuschauern beobachtet und bestaunt werden können, soll diesmal eine ungeahnte Wendung nehmen......

Victoria Mas führt mit einer besonders klaren Sprache durch den Roman. Der Roman liest sich so leicht und flüssig, fast bescheiden, dass gar nicht auffällt, wie außergewöhnlich und tiefgründig Mas Debüt eigentlich ist. Die junge Autorin braucht keine komplizierten, künstlichen Stilmittel, um beachtet zu werden, sie schreibt einfach drauflos und das ziemlich beeindruckend.

Die Handlung um die bedauernswerten entmündigten Patientinnen, die auf dem Ball wie die Tiere im Zoo der Öffentlichkeit ausgesetzt werden, hat mich ziemlich mitgenommen. Noch bedrückender macht das Ganze, dass die Idee zum Roman auf einer wahren Geschichte basiert. 

Ich habe aber trotz des deprimierenden Themas jede Seite genossen. Der Spannungsbogen wird bis zum großen Finale, dem öffentlichen Ball, den viele kaum erwarten können, aufrechterhalten.

Zu den Figuren Geneviève, Eugenie und Louise habe ich sofort Zugang gefunden, großes Mitleid für sie entwickelt und ihnen -den allesamt auf eine Art Gefangenen-  nur das Beste gewünscht. Gleichzeitig war ich fasziniert, wie stark die Protagonistinnen doch sind, wie sie trotz ihrer schlimmen Situation nicht aufgeben und sich gegenseitig unterstützen.

Der von der Presse so hochgelobte Roman weckte bei mir große Erwartungen. Diese wurden von Victoria Mas überraschenderweise sogar noch übertroffen: Ein sehr bewegender, nachdenklich stimmender Roman, ein schlichtes kleines Schmuckstück „echter Literatur“. Nicht bemüht, sondern einfach gekonnt. Manchmal habe ich Sorge, ob nicht irgendwann einmal alle Geschichten erzählt sind, die Literatur an Bedeutung verliert und wir vergeblich auf neuen Stoff warten müssen. Solange es Autorinnen wie Victoria Mas gibt, ist meine Sorge aber wohl unbegründet. Ein großartiges Debüt!

Kommentare

gst kommentierte am 05. April 2020 um 11:45

"Ein schlichtes kleines Schmuckstück echter Literatur". Hast Du wunderbar beschrieben! Ich bin auch hin und weg - vor allem von der Sprache.