Rezension

Großartige Idee, enttäuschende Umsetzung

AchtNacht
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ich muss gestehen, ich fühle mich vom Klappentext leicht in die Irre geführt: für mich klang das Buch nach einer Art Thriller-Dystopie – einer alternativen Version unserer Gegenwart, in der diese Todeslotterie tatsächlich schon seit mehreren Jahre stattfindet ("jedes Jahres"), gesellschaftlich allgemein akzeptiert wird und aus unbekannten Gründen irgendwann in der Vergangenheit legalisiert wurde ("Jeder .... darf ihn straffrei töten"). Das entspricht allerdings nicht vollkommen der im Buch beschriebenen Realität, und von 80 Millionen Feinden kann ebenfalls nicht wirklich die Rede sein. 

Ich habe im Grunde eine Mischung aus Richard Bachmans (alias Stephen King) "Menschenjagd" und "Todesmarsch" erwartet. Oder so etwas wie die dystopischen Horrorfilme der Reihe "The Purge" – wobei ich dank Nachwort inzwischen weiß, dass genau diese Sebastian Fitzek wohl zu "Achtnacht" inspiriert haben.

Der Schlüsselsatz in der Beschreibung, dem ich nicht genug Bedeutung beigemessen habe, ist: "Es ist ein massenpsychologisches Experiment, das aus dem Ruder lief." 

Aber ja, es gibt eine Todeslotterie, auch wenn die Umstände nicht hundertprozentig so sind, wie es der Klappentext suggeriert. Und obwohl es keine 80 Millionen Feinde gibt, gibt es immer noch mehr als genug. Ungeachtet dessen, dass es sich hier nicht um eine Dystopie handelt, sondern "nur" um einen gesellschaftskritischen Thriller, der voll und ganz in unserer Wirklichkeit verankert ist, bleibt die Grundidee bestechend.

Eigentlich finde ich sogar gut, dass der Autor nicht einfach seine eigene Version von "The Purge" geschrieben hat, sondern etwas, das jederzeit in unserer realen Welt passieren könnte – seine ganz eigene Interpretation der Grundidee, Fitzek-typisch mit einer guten Dosis Gesellschaftskritik, besonders an unserer Bereitschaft, uns von den sozialen Medien einer Gehirnwäsche unterziehen zu lassen. Ganz ehrlich? Würde morgen jemand glaubhaft auf Facebook posten,  man dürfe am 8. August straffrei jemanden töten und dafür 10 Millionen kassieren... Ach, ich will lieber gar nicht wissen, wie viele Leute dann ihr Messerchen wetzen würden.

Ich schwanke wegen der deutlichen Parallelen zu "The Purge" noch, ob ich das Buch jetzt originell finde oder nicht, aber es weicht doch stark genug von seiner Inspiration ab, um keine bloße Kopie zu sein. Also: ja und nein, aber es sollte in meinen Augen kein Grund sein, das Buch nicht zu lesen.

Damit kommen wir jetzt leider zu den Gründen, genau das nicht zu tun: 

Bei diesem Thema sollte man meinen, die Geschehnisse überschlügen sich nur so und die Protagonisten hetzten von einer lebensgefährlichen Situation in die nächste. Tatsächlich zog sich die Geschichte für mich über lange Passagen hinweg sehr in die Länge, zähflüssig und träge – und leider auch ziemlich konstruiert. So interessant ich die Handlung eigentlich fand, habe ich mich doch immer wieder gefragt: Wo sind die Feinde? Warum schlagen die jetzt nicht zu? Warum ist das Haus nicht schon von tausend Menschen umstellt? Wieso machen die Protagonisten sich das Leben schwerer, als es sein müsste?! Manches erschien mir einfach nicht mehr logisch und glaubhaft. 

Es gibt eine (halbwegs) unerwartete Wendung gegen Ende, die mir gut gefallen hat, weil sie im Rückblick einiges in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, und eine andere, die ich nicht so recht glaubhaft fand. Die Auflösung hat mich deswegen mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Das Buch hatte eine Unmenge an Potential, das meines Erachtens einfach nicht ausgeschöpft wurde. Ich hatte das Gefühl, eine noch nicht komplett ausgereifte Rohfassung zu lesen, die mit etwas Überarbeitung – vielleicht! – einen großartigen Thriller hätte ergeben können.

Der Protagonist heißt Ben, hat eine Tochter, die im Rollstuhl sitzt und zur Zeit der Handlung im Koma liest, und das ist auch schon so ziemlich alles, an was ich mich erinnere. Nein, das ist kein Witz, er ist mir wirklich kaum im Gedächtnis geblieben. Oh, doch – in einer Szene bringt er sich selber in Todesgefahr, um einen anderen Menschen zu retten, und das fand ich doch ziemlich anständig von ihm, aber ansonsten wirkte er auf mich eher blass, was leider auch für die anderen Charaktere gilt. 

Fitzek erspart dem Leser hier erfreulicherweise die erzwungenen Cliffhanger, die mir z.B. in "Das Joshua-Profil" so sauer aufgestoßen sind, aber der Schreibstil wirkte auf mich oft fast schon reißerisch, dabei aber gleichzeitig lustlos... Kopfkino? Leider Fehlanzeige.

Schreiben Sie inzwischen einfach zu schnell, Herr Fitzek? 

Fazit:
Die Grundidee fand ich grandios, die Umsetzung sehr enttäuschend. Was ein nervenzerfetzender Thriller mit einem Hauch Dystopie hätte sein können, kommt in meinen Augen nicht so richtig in die Gänge. Die Charaktere wirkten auf mich farblos, der Schreibstil uninspiriert, und im Ganzen hat mich das Buch bestärkt, dass ich mit den neueren Büchern von Fitzek einfach nicht warm werde.