Rezension

großartige Wiederentdeckung eines Klassikers

Jenny ¦ Der große Frauen- und Emanzipationsroman von Fanny Lewald ¦ Reclams Klassikerinnen -

Jenny ¦ Der große Frauen- und Emanzipationsroman von Fanny Lewald ¦ Reclams Klassikerinnen
von Fanny Lewald

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman "Jenny" von Fanny Lewald wurde 2023 neu vom Reclam Verlag in einer ansprechenden Hardcover Version herausgegeben. Der Erstdruck erfolgte1843 anonym bei Brockhaus in Leipzig. Fanny Lewald war eine deutsche Schriftstellerin, als Jüdin in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, die später zum Christentum konvertierte.

Mit ihrem Roman "Jenny" zeichnet Lewald das Porträt einer jungen Frau im Jahr 1832, die als Tochter einer reichen jüdischen Familie in wohlgeordneten, behaglichen Verhältnissen aufwächst. Jenny verliebt sich als sehr junges Mädchen in ihren Hauslehrer, einen jungen Christen und späteren Pfarrer und ist bereit, für diese Liebe zum Christentum zu konvertieren.

Jenny ist gebildet, intelligent, selbstbewußt und von ungestümem Wesen, mit rebellischen Zügen, wenn es darum geht, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und schlicht auch Dummheit zu erkennen und hinzunehmen. Frauen standen solche Charakterzüge in dieser Zeit eher nicht zu, wurden als männlich oder sogar, wenn Frauen jüdischen Glaubens waren, als typisch jüdisch verurteilt. All diese sich hieraus ergebenden Widerstände muß Jenny erfahren, als sie sich leidenschaftlich in den Theologen Reinhold verliebt. Sie versucht, sich durch ihren Übertritt zum Christentum anzupassen. Der Leser erfährt insofern die tiefen Gewissenskonflikte, die hierdurch bei ihr ausgelöst werden und bei Reinhold auf Unverständnis stoßen.

Auf der anderen Seite wird mit Jennys älterem Bruder Eduard ein Charakter geschildert, der sich zwar auch in eine Christin verliebt, aber zur Aufgabe seines Glaubens niemals bereit ist. Mit Clara, in die sich Eduard verliebt, wird das Gegenmodell zu Jenny entworfen. Beide Frauen sind aus reichem Haus, zwar verschiedenen Glaubens, aber innig befreundet. Clara ist sanftmütig und ausgleichend und fügt sich in die ihr von der Gesellschaft zugestandene Rolle als Hausfrau und Mutter, ein engelsgleiches Wesen. Doch auch sie wird, wie die übrigen Protagonisten, geradezu zerissen von den Irrungen und Wirrungen der Liebe und den gesellschaftlichen Zwängen, denen alle ausgesetzt sind. So waren Mischehen zwischen Juden und Christen nach staatlicher Erlaubnis zwar möglich, aber gesellschaftlich verpönt.

All das wird trotz oder gerade wegen der altertümlichen Sprache des Romans sehr nachvollziehbar deutlich. Ich habe diese Sprache sehr genossen, gerade weil hierdurch die tiefen Emotionen der Beteiligten so treffend gespiegelt wurden. Gut gefallen haben mir auch die zauberhaften Schilderungen von Natur und Landschaften. Wer hätte gedacht, dass man damals in Baden Baden Nordlichter betrachten konnte ?

Gespannt verfolgt der Leser Jennys Lebensweg und wünscht ihr ein selbstbestimmtes, glückliches Leben, in dem sich ihr selbstbewußter, wacher Charakter entfalten kann. Das Fatale für Jenny und ihren Bruder ist, dass weder Frauen noch Juden, selbst wenn sie so wie Jennys Familie reich waren, ein freies und selbstbestimmtes Leben führen konnten, weder in der Wahl ihrer Lebenspartner und ihres Berufes noch in der Ausübung ihrer religiösen Freiheit.

Ein großartiger Roman, in dem es sowohl um die Emanzipation von Frauen als auch um die Emanzipation des jüdischens Volkes von Vorurteilen und daraus resultierender Diskriminierung geht. Wer ein Faible für Klassiker hat, sollte diesen Roman lesen !

Ich vergebe 5 Sterne.