Rezension

Großartiger Auftakt!

Skinned - Robin Wasserman

Skinned
von Robin Wasserman

Bewertet mit 5 Sternen

Jugendbücher sind oberflächlich und voller Klischees?
Hier ist ein sehr gutes Beispiel, dass es auch anders geht!

Anfangs war ich noch etwas skeptisch.
Lia Kahn, die Protagonistin, wächst in einer Welt auf, in der die Technik die Menschen immer mehr beherrscht. Ja, noch mehr als schon jetzt ;)
Sie ist 16 Jahre alt, verwöhnt und sehr von sich eingenommen. Ihre Familie ist reich und vor allem ihr Vater hat überall großen Einfluss. Lia ist immer up to date, ihre Freundinnen sehen zu ihr auf und die Jungs himmeln sie an. In dieser Rolle gefällt sie sich ziemlich gut und auch mit ihrem Freund Walker läuft alles bestens. Nur ihr etwas distanziertes Verhältnis zu ihrer Schwester Zoie ist etwas durchwachsen; aber das kümmert sie nicht wirklich.

Bis jetzt hört sich das noch sehr nach diesen typischen Jugendbuch-Charakteren an, von denen ich ziemlich gelangweilt bin. Aber mit Lia passiert etwas, etwas dramatisches und sie muss irgendwie lernen, damit umzugehen. Die Konsequenzen ziehen immer weitere Kreise und aus der Ich-Perspektive erlebt man sehr intensiv, wie Lia sich verändert ...

Die Geschichte steigt ein, als Lia im Krankenhaus aufwacht. Sie hatte einen schlimmen Unfall und wäre gestorben, hätte man nicht ein neuartiges Verfahren an ihr vorgenommen: Sie steckt ab jetzt in einem künstlichen, perfekten Körper. Ihr Gehirn und damit ihr Wissen und ihre Erinnerungen wurden in einen Computer eingespeichert, die sie abrufen kann. Sie muss nicht essen, nicht atmen, wird nicht altern, auch nicht sterben und keinen Schmerz empfinden - doch auch alle anderen Gefühle sind nicht mehr da.

"Ich war nur ein Geist in der Maschine.
Ein MechHead. Ein Kabelhirn. Ein Frankenstein. Ein Hautdieb.
Ein Skinner."
S. 39

Es ist ein langer Leidensweg, der sehr gut beschrieben wurde. Ich hatte etwas völlig anderes erwartet und musste mich erstmal darauf einstellen, dass Lias Entwicklung sehr detailliert erzählt wird. Das war aber nötig, damit man das, was weiter passiert, gut nachvollziehen kann.

Die Reaktionen der Umwelt auf Lias Veränderung sind ziemlich heftig. Auch wenn in dieser Zukunftsvision die Technik allgegenwärtig ist:
in Form von genetisch modifizierter Natur, Körperliftings, programmierten Autos, dem allgegenwärtigen sozialen Netzwerk und stimmungsbeeinflussenden Drogen,
steht man in der Gesellschaft den "Skinnern" äußerst kritisch gegenüber. Die weitläufige Meinung geht sogar soweit, dass sie diese reanimierten "Computermenschen" als nicht menschlich ansieht, als Kopien, die keine Rechte haben sollten.

Dieses Gedankenexperiment ist beängstigend, vor allem, weil man sich sehr gut vorstellen kann, dass es tatsächlich so verrückte Entwicklungen in unserer Zukunft geben könnte und man stellt sich während dem Lesen immer wieder die Frage: Was würde ich dazu sagen? Wie würde ich mich verhalten, wenn mir "so jemand" gegenübersteht? Wird man das Gehirn tatsächlich einmal "kopieren" können und wo bleibt dabei die Seele?

Gerade mit der Figur Lia, die ja eigentlich kein wirklich sympathisches Mädchen ist, leidet man doch mit. Vor allem wenn man den Hass und den Vorwurf spürt, mit dem sie sich täglich auseinander setzen muss: von den anderen aber auch von sich selbst. Ihre Familie ist hier auch keine Unterstützung, denn der Vater wirkt wie ein kalter Kontrollfreak, die Mutter wagt kaum ihre Meinung zu sagen und die Schwester Zoie ist scheinbar ein sehr nachtragendes Biest.

Allerdings lernt sie noch zwei Jungs kennen, die einen großen Einfluss darauf haben, was weiter passiert.

Einmal Auden
"Woher willst du wissen, dass ich wirklich einen freien Willen habe? Woher soll ich wissen, dass es so ist? Klar, ich habe das Gefühl, selbständige Entscheidungen zu treffen, doch wer weiß? Er denkt, dass Gott alle Fäden in der Hand hält. Woher will er denn wissen, dass ihn Gott nicht wie eine Marionette tanzen lässt?" S. 241

und Jude
"...diese Perfektion ist unser einziger Makel. Sie altern, sie werden krank, verletzen sich, immer ist irgendwas. Sie verfallen. Wir bleiben immer gleich. Wir schweben durch die Zeit; sie ertrinken darin. Sie haben einen Stichtag; wir nicht. Und genau das können sie uns nicht verzeihen." S. 368

Nichts ist einfach und alles kompliziert - und es gibt einige sehr tiefsinnige Gedankengänge die bei mir sicher noch eine zeitlang nachwirken werden.
Ich hoffe, dass man im zweiten Band auch noch etwas mehr über die Welt erfährt, denn es gibt nicht nur die Reichen und Mächtigen, zu denen Lia gehört, sondern auch die Unterschicht, die Städter, die in den verseuchten Ruinen leben. Ohne Bonus und ohne Chance auf ein angemessenes Leben mit medizinischer Unterstützung und den Annehmlichkeiten der Reichen.

Die Entwicklung am Ende - da weiß ich noch nicht genau, was ich davon halten soll ... mal sehen, wie es weitergeht :)

Fazit

Außergewöhnlich, fesselnd und teilweise auch verstörend, wenn man sich mit dem Thema des Buches auseinandersetzt. Endlich mal ein Jugendbuch, das tiefer geht, das einen gedanklich herausfordert und das hoffentlich mit der gleichen Intensität weiter geht!

© Aleshanee
Weltenwanderer

Cold Awakening

1 - Skinned
2 - Crashed
3 - Wired