Rezension

Große Erzählstimme

Bella Ciao - Raffaella Romagnolo

Bella Ciao
von Raffaella Romagnolo

~~Bella Ciao – Raffaella Romagnolo

Nach einem halben Jahrhundert kehrt Giulia Masca als wohlhabende Frau nach Italien zurück. Damals war sie nach dem großen Verrat ihres Verlobten Pietro und ihrer besten Freundin Anita Hals über Kopf in die USA ausgewandert. Während sie es dort zu Wohlstand brachte (American Dream) und mit ihrer Familie in Frieden leben konnte, litten die in Italien Zurückgebliebenen, während zweier Kriege große Not.

Dieser Roman zeichnet sich durch sehr dichte und atmosphärische Erzählweise aus. Die Autorin erzählt sprachgewaltig und dramatisch vom Leben zweier starker Frauen und ihrer Familien in einer unruhigen Zeit in Italien und am Rande auch Amerika. Dabei werden dem Leser die politischen Begebenheiten und typischen Schicksale der einfachen Landbevölkerung nahegebracht. Ich fühlte mich während der Lektüre inspiriert, das ein oder andere Detail was geschichtliche Hintergründe des 20. Jahrhunderts betrifft, zu recherchieren.

Dabei ist diese Geschichte durchaus anspruchsvoll zu lesen. Das liegt am einen an oben bereits erwähnten politischen Zusammenhängen, zum Anderen, springt die Erzählstimme zwischen den Zeiten und auch den verschiedenen Perspektiven und das zum Teil mitten im Absatz. Wenn man sich erstmal eingelesen hat, ist dies aber durchaus logisch und nachvollziehbar, handelt es sich doch um die Erinnerungen von Giulia. Außerdem gibt es unheimlich viel Personal, kein Wunder, schließlich werden fünfzig Jahre abgehandelt und die Geschichte von zwei Familien erzählt. Bei der Orientierung hilft allerdings ein Stammbaum, der auch zweimal aktualisiert wird.

Ein Zusammentreffen der beiden Frauen findet erst im letzten Abschnitt statt. Im Rückblick geht es auch gar nicht primär um dieses Treffen sondern vielmehr um eine berührende und fesselnde Rückschau auf die Leben zweier starker Frauen, die sich einst so nah wie Schwestern waren, deren Schicksale dann aber höchst unterschiedlich verliefen.
So werden dem Leser Not und Leid in Zeiten des Krieges eindrucksvoll vor Augen geführt. Sowohl auf der Seite der jungen Männer, die in den Krieg ziehen müssen, als auch auf der Seite der zurückbleibenden Frauen, Alten und Kinder. Emotional, ohne auf die Tränendrüse zu drücken oder in Kitsch abzugleiten.

Ein sehr lesenswertes und lehrreiches Buch, durch die Sprachgewalt der Autorin wirkt es sehr dominant. Einmal angefangen, kann man sich dem Zauber kaum noch entziehen.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Bedeutung des Titels „Bella Ciao“. Diesen sehr passenden Titel hat der Diogenes Verlag dem Roman verpasst. Ursprünglich wurde er nämlich unter dem Namen „Destino“ in Italien veröffentlicht.
Die Melodie des Liedes Bella ciao wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von ausgebeuteten Arbeiterinnen gesungen. Es beklagt die harten Arbeitsbedingungen unter der stechenden Sonne. Weltweit bekannt wurde das Lied in seiner Adaption durch die Resistenza, der italienischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus während des Zweiten Weltkrieges. (Quelle: Wikipedia)