Rezension

Große, wiederentdeckte Literatur - berührend und hochaktuell

Ein anderer Takt - William Melvin Kelley

Ein anderer Takt
von William Melvin Kelley

E

 

 

Ort des Geschehens: ein fiktiver Bundesstaat im Süden der USA, begrenzt durch die Bundesstaaten Tennessee, Alabama und Mississippi und den Golf von Mexiko. Im Juni des Jahre 1957 verlassen innerhalb weniger Tage sämtliche Farbige (hier verwendet man noch den Begriff Neger) den Bundesstaat und kehren nie mehr zurück. Ausgelöst wird diese Bewegung durch den Farbigen Tucker Caliban, der seiner Felder mit Salz unfruchtbar macht, seine Tiere tötet, sein Haus niederbrennt und seine Farm für immer verlässt. 

William Melvin Kelley erzählt  die Geschichte dieser Tage aus unterschiedlichen Perspektiven, fast ausschließlich aber aus Sicht der Weißen. In Rückblenden, aus Erinnerungen und Gesprächen, schält sich ein Bild heraus, dass den Leser langsam erahnen und verstehen lässt, warum geschehen ist, was geschehen ist. Dieser Roman hat mich gerade deshalb auch so berührt, weil sich zum einen an der Situation der schwarzen Bevölkerung in den USA immer noch zu wenig geändert hat und zum anderen deutlich wird, das Revolutionen niemals von oben her funktionieren, sondern immer den Impuls von unten benötigen. Das dauert - oft braucht es den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt - bis sich etwas bewegt, aber dann um so rasanter und endgültiger. Ein einziger Mensch kann Lawinen ins Rollen bringen und Berge versetzen. Das wird grade auch heute wieder deutlich etwa in Bewegungen wie "fridays for future", "me too" u.ä.

William Melvin Kelley besitzt dabei eine große Erzählkunst, die einen förmlich einsaugt und nicht mehr loslässt. Dieser Roman ist mir nah gegangen. Einzig das Vorwort von Kathryn Schulz war mir etwas zu lang und ermüdend.