Rezension

Großes Kino!

Das Girlfriend-Experiment - Catherine Lacey

Das Girlfriend-Experiment
von Catherine Lacey

2017 ist der Roman in den USA unter dem Titel "The Answers" erschienen. Der deutsche Titel passt jedoch auch gut. Und ich freue mich sehr, dass der Roman nun auf deutsch erschienen ist!

Mary hieß eigentlich früher Junia und lebte mit ihren sehr religiösen Eltern inmitten der Natur. Irgendwann holte ihre Tante sie dort heraus, wechselte ihren Namen und machte sie mit allen Erfordernissen und Dingen der Zivilisation vertraut.

Mittlerweile wohnt sie allein in New York, hat das College absolviert und reiste viel. Sie hat zwar einen kleinen Job in einem Reisebüro, dennoch verschuldet sie sich immer mehr. Seit einiger Zeit leidet sie unter extremen Schmerzen, für die keine Ursache und daher auch keine Linderung zu finden sind. Ihre spirituell- esoterisch veranlagte Freundin Chandra empiehlt ihr irgendwann PAKing. Die erste Stunde bei Ed bringt ihr schon Erleichterung, aber die Sessions sind wahnsinnig teuer...

Zufällig findet sie eine Stellenausschreibung für eine "einkommensschaffende Tätigkeit". Nach vielen Gesprächen und Tests wird sie als "emotionale Freundin" des berühmten Schauspielers Kurt Sky eingestellt. Dieser befindet sich gerade in einer Schaffenskrise und hadert allgemein mit dem "Promi-Sein". Neben ihr wird auch noch auch eine "Wutfreundin", eine "Alltagsfreundin", eine "intellektuelle" und "mütterliche Freundin" sowie mehrere Frauen für sexuelle Intimitäten eingestellt. Dies alles ist Teil eines Forschungsprojekts, des sogenannten "Girlfriend Experiments". Dabei soll herausgefunden werden, was es mit der Liebe auf sich hat und wieso eigentlich nach einiger Zeit des höchsten Glücks Leid und Langeweile in Beziehungen entstehen.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Die Sprache ist schön. Der Ton ist modern, frisch, witzig und klug.

Der aktuelle Zeitgeist wird gut getroffen und beschreibt Individuen und ihre Beziehungen sehr pointiert. Frauen, oft Opfer, und Männer, oft Täter, werden in ihrem Sein betrachtet. Einsamkeit, Egozentrismus, Gewalt sind wiederkehrende Motive, der Wunsch nach Kontrolle, nach Liebe und Heilung sind allgegenwärtig. Welche Rolle können dabei Religion, Esoterik oder auch die Wissenschaft einnehmen?

Der recht komplexe Roman lädt ein, selbst nachzudenken und zu interpretieren. Er lässt nicht alle Fragen offen, sondern gibt auch Antworten, welche es wert sind, diskutiert zu werden.

Es ist im Grunde ein philosophischer und gesellschaftskritischer Roman, auch ein feministischer Roman, der satirisch, bissig, komisch, schräg, witzig, mystisch, tragisch, berührend, traurig, bitter, empörend und etwas verstörend daher kommt. Er hat mich ungemein gefesselt und ich fand ihn wirklich sehr originell und voller Überraschungen.

Nach dem dramaturgischen Höhepunkt verliert der Roman zwar etwas die Leichtigkeit und wird etwas schwerer, aber das trübt den Lesegenuss keinesfalls. Nach der Lektüre blieb ich sehr nachdenklich und fragend zurück. Und vielleicht auch etwas kulturpessimistisch..:)