Rezension

Großes Potential nicht voll ausgeschöpft

Die stummen Wächter von Lockwood Manor - Jane Healey

Die stummen Wächter von Lockwood Manor
von Jane Healey

Bewertet mit 4 Sternen

Eine schaurige Kulisse, der herannahende Krieg, verdrängte Kindheitstraumata, ein verschlagener Patriarch und eine Liebe entgegen der gesellschaftlichen Konventionen - mehr als genug Konfliktpotential für einen großartigen Roman. Leider ist es der Autorin nicht gelungen, dies rundum sättigend umzusetzen.

Dies liegt überwiegend am Erzählstil, der sehr ausschweifend ist. Die Sprache entspricht der Zeit, in der die Geschichte spielt, und richtet ihr Augenmerk auf die mysthische Atmosphäre. Doch die Satzstellung ist manches Mal umständlich und oftmals zu lang. So kommt die Geschichte nur sehr, sehr langsam in Fahrt. Die Autorin verlässt sich zu sehr auf die atmosphärischen Beschreibungen des düsteren Anwesens und der immer wieder auftauchenden Hinweise auf mystischen Sagen, Alpträumen und unerklärbaren Geschehnissen und vergisst die Personen. Die Nebencharaktere bleiben blass, trotz maßgeblichen Einfluss auf die Handlung, und verkommen zu Stichwortgebern. Auf Dauer passiert viel zu wenig, man scheint wochenlang nichts anderes zu tun, als durch Räume zu wandeln. Erst im zweiten Drittel kommt die Handlung in Bewegung.

Ich mochte die beiden Protagonistinnen Hetty und Lucy sehr gern. Jede für sich gesehen hat mit eigenen Dämonen zu kämpfen und trägt gleichzeitig tapfer ihr Schicksal. Durch die abwechselnde Erzählung aus beiden Perspektiven waren sie in ihrer Unterschiedlickeit wunderbar wahrnehmbar. Mir gefiel die sich ganz langsam entwickelnde Zuneigung und die Euphorie, mit der sich die Liebenden anfänglich wegtragen ließen. Später war ich einttäuscht von ihrem fehlenden Kampfgeist.

Bei der Entwicklung der Konflikte beweist die Autorin sehr viel Feingefühl und an keiner Stelle fühlen sich Ängste, Sorgen und Visionen aufgesetzt oder unpassend.

Was eindeutig fehlte war die charakterliche Entwicklung. Die Autorin lässt Hetty und Lucy trotz steigenden Leidensdruck viel zu wenig agieren, sie gehen kein Risiko ein und verlassen ihre Komfortzone nicht. Der Leser ist gefangen in der Beobachtung und bekommt nur wenig Hinweis, tappert lange Zeit in Vermutungen und hat am Ende Mühe, das Vertrauen in die Erfüllung der Prämisse aufrechtzuerhalten. Als sich dann zum Ende die Ereignisse überschlagen, verkommen die beiden Frauen zum Spielball der anderer Akteure. Und so erhält der Showdown den faden Beigeschmack eines Deus ex machina.

Fazit: Ein sehr atmosphärischen Buch mit sensibel entwickelten Konflikten aber fehlendem Handlungstempo und einem zufälligem Ende.