Rezension

Gut gegen Nordwind

Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Gut gegen Nordwind
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 4 Sternen

Leo Leike erhält eine Email von Emmi Rothner. Sie will ein Zeitschriftenabo kündigen. Aber nicht bei Leo, sondern beim Leike Verlag. Aus dem Irrtum heraus entspinnt sich ein zunächst kleiner, aber später feiner Emailverkehr zwischen der spontanen, lebenslustigen Emmi und dem Verstandmenschen Leo. Zufälligerweise wohnen beide auch noch in derselben Stadt. Die Abstände zwischen den Mails werden kürzer, die Inhalte länger. Dann kommen zu den Worten Gefühle, Ängste und Hoffnungen. Leo und Emmi verlieren fast den Kontakt zu ihren wirklichen Leben und driften in einem illusorischen Liebesabenteuer durch ihre Mailboxen. Das ist aufregend, sexy, verheißungsvoll, urkomisch, beschwingt und genial, aber auch gefährlich. Emmi und Leo nehmen immer mehr Besitz voneinander. Sollen sie sich treffen? Emmi ist schließlich, wie sie sagt "glücklich verheiratet" und hat zwei Kinder. Aber die Worte in den Mails ziehen Emmi und Leo wie Magneten zueinander. Keiner scheint die Chance zu haben, diesem Zauber der Worte zu entgehen. Auch ein Blinddate, bei dem man sich zwar trifft, aber nicht weiß, wer der andere ist, hilft da nicht weiter. Zum Schluss bleibt nur noch ein Ausweg: Emmi und Leo müssen sich treffen. Was dann passiert, das hat Daniel Glattauer in einem Ende aufgeschrieben, das es wirklich in sich hat. Man fragt sich automatisch die ganze Zeit, was man selber machen würde. Und weiß, man wäre wahrscheinlich genauso hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, den anderen endlich, endlich persönlich zu sehen und der Furcht, dadurch den einzigartigen Zauber dieser außergewöhnlichen Beziehung - fast schon Affäre - zu zerstören... und nicht nur das.

Und man weiß eigentlich auch, dass es nicht gut gehen würde - höchstwahrscheinlich. Denn schon längst sind Gefühle im Spiel, die zwar zum Teil auf einer Wunschvorstellung basieren, die aber schon so stark sind, dass sie längst Emmis Ehe beeinflussen. Schockierend fand ich Bernhards Mail an Leo, tatsächlich dachte ich bei den ersten Zeilen, es sei Emmi, die auf diese Weise Leo zu verstehen geben wolle, dass er sich mit ihr treffen soll.

Wunderbar gefallen hat mir, wie auch in den ganz kurzen mails, in nur wenigen Worten so viel gesagt, so viel Emotionen ausgedrückt wurden, und ganz besonders Leos alkoholgeschwängerte Passagen voller Sehnsucht - hinreißend. In einer dieser weinseligen emails schreibt er auch die wunderbaren Sätze: "Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Wie sollte Emmi sich nicht in diese Worte verlieben? Insgesamt war mir Leo sympathischer als Emmi. Doch er lebt eben mit den einfacheren Umständen. Wer weiß schon, wie es wäre, wenn man durch bloßen Zufall in so eine Freundschaft gerät? Da kann man schon mal so widersprüchlich reagieren wie Emmi.
Gefallen hat mir die "Einmischung" ihres Mannes. So bekam der Emailverkehr mehr Brisanz, mehr Dramatik. Es wurde ernst.
Auch das Ende gefällt mir. Passt gut zu Leo und Emmi. Zu dem, was sie im Laufe des Buches von sich preisgaben. Zu den Entscheidungen, die sie in diesem Jahr trafen.

"Alle sieben Wellen" werde ich nun ebenfalls lesen müssen, denn obwohl ich nicht taumele, bin ich doch der zigste Fan von Leo und Emmi geworden, wenn auch etwas verhaltener.