Rezension

Gut zu lesen - aber mit Spielräumen nach oben

Das Geheimnis von Blue Manor -

Das Geheimnis von Blue Manor
von Katie M. Bennett

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Buch, das im Verlag erscheint, ist letztlich eine Gemeinschaftsproduktion. Schade, wenn das Lektorat nicht leistet, was es leisten soll und das Werk dadurch hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Wen allerdings Mängel in Rechtschreibung, kleine Logikfehler und Hilfsverben nicht stören, wird die Lektüre genießen.

>>>INHALT

Sophie lebt als Journalistin in London. Sie macht sich große Hoffnungen auf eine Beförderung, wird aber bitter enttäuscht, als ihr Chef den Posten schließlich einem Familienmitglied gibt, das sich auch noch als unangenehmer Zeitgenosse entpuppt. Sophies Beziehung zu ihrem Freund Adam, einem Musiker, der sich ständig auf ausgedehnter Tournee befindet, plätschert einigermaßen unbefriedigend vor sich hin. Genau der richtige Zeitpunkt, um beruflich in ein anderes Gleis abzubiegen: Sophie erhält von einer ihr bis dahin unbekannten adligen Dame das lukrative Angebot, deren Memoiren zu verfassen. Ein gewagter Schritt in vielerlei Hinsicht, aber Sophie unternimmt ihn dennoch, denn es muss sich etwas ändern in ihrem Leben!

Auf Blue Manor, dem prächtigen Herrensitz, der ihrer Auftraggeberin Gwyneth gehört, stellt sie mit Erleichterung fest, dass ihr die neue Chefin auf Zeit sehr sympathisch ist. Die stirbt allerdings kurz nach Sophies Eintreffen. Bei der Eröffnung des Testaments, zu der die junge Journalistin zu ihrer Überraschung eingeladen ist, muss sie feststellen, dass sie als Erbin für Blue Manor eingesetzt ist: Gwyneths Bruder schäumt und will rechtliche Schritte dagegen unternehmen. Angesichts des für sie vollkommen überraschenden Erbes wird Sophies journalistischer Spürsinn geweckt: Sie will herausfinden, warum Gwyneth das Testament zu ihren Gunsten angefertigt hat – und erhält unerwartet Hilfe von dem sympathischen Notar, bei dem es hinterlegt war.

Insgesamt beschreibt der Roman eine extrem wichtige Phase im Leben einer jungen Frau, die die gewohnten Wege verlässt, um ihr Glück zu finden.

>>>WIE DER ROMAN AUF MICH WIRKT

Ich habe das Geheimnis von Blue Manor im Prinzip ziemlich schnell geknackt. Mit anderen Worten: Die Story konnte mich nicht wirklich überraschen; so oder so ähnlich habe ich schon andere Geschichten zuvor erzählt bekommen.

Aber: Das ist nicht schlimm, vor allem dann nicht, wenn es einem Verfasser gelingt, seinem Werk neue Aspekte hinzuzufügen. Ein Bühnenstück fällt ja auch nicht automatisch beim Publikum durch, nur weil es zuvor bereits aufgeführt wurde. Kreative Prozesse, die zu einer neuen Präsentationsform führen sind es, die am Ende über Gefallen und Missfallen entscheiden. Und genau an diesem Punkt wird es schwierig mit dem Geheimnis von Blue Manor. Ich hätte erwartet, dass eine Autorin, die sich an einem bekannten Muster versucht, diesem sprachlich ihren eigenen Stempel aufdrückt oder andere schriftstellerische "Maßnahmen" ergreift, um dem Ganzen ihren persönlichen Touch zu verleihen. In manchen Bereichen ist das im Roman durchaus geschehen. Relativ spät erst verwandelt er sich in eine potenzielle Lovestory. Bei vielen Liebesromanen kann man schon in den ersten Zeilen ablesen, wer am Ende zu wem findet. Das ist in Blue Manor vollkommen anders gelöst. Viel Mühe gibt sich die Autorin damit, das Innenleben ihrer Hauptfigur Sophie zu schildern – für mich war es manchmal auch ein wenig zu viel Mühe, denn die immer neuen Beschreibungen, die schildern, wie die junge Frau ihre eigene Angespanntheit oder Nervosität erlebt, hatten für mich ab einem bestimmten Punkt auch etwas Langatmiges. Hier wurde die Story natürlich ausgebremst: Wer Gefühle schildert, schildert keine Handlung. Manchmal verfiel die Autorin auch in einen sehr kurzen knappen Sprachstil, der mir gut gefiel, weil er Dinge auf den Punkt brachte.

Am Plot ist nichts auszusetzen, der Spannungsbogen ist gut aufgestellt, hin und wieder kann man in der Story Elemente einer Biografie oder eines Kriminalromans entdecken, aber ... – jetzt kommt ein ziemlich fettes ABER, das letztlich dazu geführt hat, dass ich dem Roman lediglich drei Sterne gebe. Und die Autorin ist nicht unbedingt daran schuld …

>>>WAS EIN LEKTORAT LEISTEN SOLLTE

Die Aufgabe eines Lektorates besteht darin, Zeichenfehler, orthografische Fehler oder Sinnfehler aufzuspüren, den Stil eines Romans kritisch zu überprüfen sowie dem Plot auf die Sprünge zu helfen, wenn nötig.

Um es noch einmal lobend festzustellen: Das Plot in diesem Roman stimmt. Ja, Liebesromane ähneln einander grundsätzlich; die Geschichte der wiedergefundenen Erbin von Schloss und Adelstitel ist nicht wirklich neu. Nicht schlimm und auch kein Grund, sie nicht noch einmal anders und besonders zu erzählen. An manchen Stellen gelingt das im vorliegenden Werk. Aber eben nicht überall. Ich hatte beim Lesen bisweilen regelrecht den Eindruck, das ganze Passagen in großer Geschwindigkeit und mit viel Schaffenskraft verfasst worden, wobei in der Eile die Textqualität bedauerlicherweise arg gelitten hat. Da existieren ganze Passagen, die als Verben ausschließlich Hilfsverben enthalten.

Das geht besser, das geht anders, das geht vor allem erwachsener. Ein Liebesroman setzt sich schließlich mit absolut erwachsenen Gefühlen auseinander wie großer Zuneigung, Verletzlichkeit, Sensibilität, Trauer, eventuell auch Hass, Verantwortungsbewusstsein usw. angereichert mit einer mehr oder minder großen Portion eines sexuellen Triebes bzw. Antriebs. Das Ewige "war, war, war", in dem der vorliegende Titel teilweise stecken bleibt, wird dem Anspruch, eine Lektüre für Erwachsene darzustellen, in längeren Passagen und wiederholt meines Erachtens nach nicht gerecht. Die permanente Verwendung von Hilfsverben führt dazu, dass hier eine geradezu kindlich simple Sprache für "Erwachsenenkram" verwendet wird. Meiner Meinung nach hätte das Lektorat den Stil der an und für sich gut erzählten Story schärfen und verbessern müssen. Dieser grundsätzliche Mangel kann ja mit wenig Aufwand überwunden werden.

(In den Lektoraten zu meinen eigenen Sachbüchern und belletristischen Titeln habe ich es nicht immer als angenehm erlebt, wenn ich auf grundsätzliche Fehler meinerseits hingewiesen wurde: Wer mag das schon? Aber im Laufe der Zeit gelang es verschiedenen LektorInnen doch vielleicht, das Niveau meines Schreibens durch ihre Kritik grundsätzlich zu verbessern  :-) : Die sind dafür da, mich etwas zu lehren und ich als Autorin darf mir nicht zu schade sein, etwas aus ihrer Arbeit zu lernen. Klappt das, entstehen mit einiger Wahrscheinlichkeit – allmählich – gute Buchtitel.)

Insgesamt wundere ich mich, abgesehen von diesen regelrechten Invasionen von Hilfsverben, wie viele kleine und große Schreibfehler dem Lektorat in Blue Manor entgangen sind.

Aber da finden sich auch Sachfehler: Ich kann beispielsweise nicht ständig betonen, dass ein Hund die Ausmaße eines Brontosauriers besitzt und dann konsequent von einem Körbchen sprechen, in dem besagter Brontosaurier schläft. Ein alter Mann, der am Stock geht, soll im Stechschritt daherkommen - ich persönlich finde das ziemlich unwahrscheinlich. Der laut Text mehr als 40 Jahre alte Rover von Sophie soll neu aussehen – kann sein, dass er supergut gepflegt ist, aber neu schaut der allein wegen seines antiquierten Designs garantiert nicht aus. Dergleichen müsste einem hell wachen Lektorat auffallen. Klar, so eine kleine Unstimmigkeit wirft den Roman wahrhaftig nicht aus der Bahn. Da handelt es sich jeweils um eine Bagatelle, doch die besitzt Indikatorfunktion: Entweder das Lektorat arbeitet wie ein guter Spürhund oder eben nicht.

An zwei Stellen steht im Text genau das Gegenteil von dem, was gemeint ist. Ein gutes Lektorat spürt solche Fehler auf. Leider ist das im "Geheimnis von Blue Manor" nicht geschehen. Schade für das an sich solide Werk.

>>>DAS COVER

Ein Buch, das in einem Verlag veröffentlicht wird, stellt am Ende das Ergebnis einer Gemeinschaftsproduktion dar: Viele Köpfe und Hände beteiligen sich daran, es zum Erfolg zu führen. Ja, beim Lektorat sind deutliche Spielräume nach oben geblieben. Das Cover dagegen empfinde ich als ausgesprochen gelungen. Bei dessen Design wurden zahlreiche Elemente aus dem Text berücksichtigt, sodass für mich der Schluss nahe liegt: Das Buch wurde tatsächlich vor der Coverillustration gelesen. Ist durchaus nicht immer der Fall, das sieht man manchen Buchdeckel leider auch an.

>>>EIN WIRKLICH CLEVER GEWÄHLTER PROTAGONIST

Sophie verspricht ihrer Auftraggeberin noch zu deren Lebzeiten, sich um den liebenswerten und ausgesprochenen großen Hund namens James zu kümmern, sollte seine Besitzerin sterben. Diese haarige Figur ist ausgesprochen klug konfiguriert und gewählt: Die meisten Leute mögen Hunde und ich persönlich halte es für fast unmöglich, James nicht sympathisch zu finden. Er ist im ureigensten Sinne des Wortes ein Sympathieträger! Außerdem bringt er die Story an einem entscheidenden Punkt voran. Hier sammelt das Werk gekonnt und mit einigem Geschick Punkte beim Leser.

>>>FAZIT

Ich finde es schade, dass ich wegen der phasenweise ausgesprochen schlichten Sprache, die Thema & Handlung nicht gerecht wird, nicht mehr als drei Sterne für diesen Titel vergeben kann. Der hätte sich auch fünf Sterne verdienen können ohne seine abschnittweisen sprachlichen Tiefflüge, die den Gesamteindruck in meinen Augen streckenweise doch sehr herunterziehen. Ja, ich weiß, dass ich in Bezug auf die Nutzung von Vollverben und Hilfsverben mit meiner Einschätzung häufig eine Einzelmeinung repräsentiere. Genau deshalb sei hier auch der Hinweis angebracht: Wer sich nicht daran stört, dass Sprache und Inhalt einander nicht immer auf Augenhöhe begegnen, wird eine angenehme Lektüre erleben.

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