Rezension

Gute Idee, aber unzureichende Umsetzung.

All die verdammt perfekten Tage
von Jennifer Niven

Bewertet mit 3 Sternen

Ich brauche eine Weile bis ich im Buch ankomme. Eine ziemliche Weile. Ungefähr 1/3 des Buches ist erstmal unglaublich mühsam. Finch wird mir nicht sonderlich sympathisch und Violet bleibt zunächst irgendwie vage. Oberflächlich. Unwichtig. Irgendwann wird es dann…

Dreimal habe ich die Rezension schon gelöscht. Dreimal habe ich sie neu geschrieben. Dreimal hab ich überlegt es einfach zu lassen, weil sich meine Gedanken dazu im Kreis drehen und ich es schwer finde das auszudrücken was ich ausdrücken will. Kurzfassung dieser gleich vermutlich viel zu langen Rezension: Finch strengt mich an. & Es ist kompliziert.

Fangen wir mit dem Aufbau des Buches an. Das ist einfach, der gefällt mir nämlich. Ich mag es generell Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben. Hier wird uns die Geschichte zum einen aus der Sicht von Finch erzählt, der seine wachen Tage zählt. Außerdem bekommen wir auch die Perspektive von Violet zu lesen, die den Countdown bis zum Schulabschluss zählt. Ich bin sehr dankbar, dass es diesen Wechsel gibt, denn mit Finch werde ich die gesamte Story über nicht warm. Er wird mir einfach nie auch nur ansatzweise sympathisch.

Während (abgesehen von Violet) alle anderen – der zu zahlreichen – Charaktere nie wirklich an Tiefe gewinnen und dadurch blass, uninteressant und für die Story unwichtig erscheinen, treibt Finch mich einfach nur in den Wahnsinn. Finch vereint alles in sich, aber wirklich alles, was mich an unbehandelten, psychisch Kranken maßlos aufregt. Und ich kenne einige. Ich war selbst mal so. Ich kann nicht zählen wie oft ich ihn gerne selbst vom Glockenturm gestürzt hätte. Einfach damit es aufhört. So wie Finch selbst es auch tun wollte.

Eigentlich gefällt mir auch das Thema sehr gut. Zwei Jugendliche, die ein ähnliches Schicksal teilen. Eine gewisse Lebensmüdigkeit. Das Schulprojekt hat mir als Idee und Lösungsansatz sehr gut gefallen. Auch was die beiden daraus – jeder für sich & zusammen – machen, fand ich schön. Die Message von Finch an Violet und die Leser, dass es da draußen so viel zu entdecken gibt. So viel dass sich lohnt. Großartig!

Näher betrachtet wird (zumindest mir) jedoch klar, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Problematiken handelt. Und irgendwie bleibt mir das hier zu schwammig. Wird einfach nicht differenziert. Ja, es ist super dieses Thema in einem (Jugend)Buch zu verarbeiten. Ja, Ziele, ein Projekt, sehen dass es noch so vieles gibt, ist ein super Ansatz.

Aber wenn man sich schon mit (lebensbedrohlichen) Störungen & Erkrankungen befasst, warum nutzt man die 400 Seiten nicht um wenigstens auf 20 oder 30 davon mehr in die Tiefe zu gehen? Warum dehnt man das letzte Gespräch zwischen Finch und seinem psychologischen Berater nicht ein wenig aus, einfach um zu erklären worum es eigentlich geht? Nur weil man mehr, deutlicher und eindringlicher darstellt, hätte sich an der Geschichte selbst ja nichts ändern müssen. Finch hätte ja trotzdem genauso reagieren können wie er es getan hat.

So bleibt – für mich – ein sehr fader Beigeschmack. Für mich persönlich ist das einfach kein Thema mit dem man sich so oberflächlich befassen sollte. Genauso wie ich mich bei einem anderen Buch letztens tierisch aufgeregt habe, weil man „Ach ja… dein Vater hat Krebs“ in einem Nebensatz erwähnte.

Und das fängt wie gesagt schon bei den Charakteren an. Zwar wird Violet während des Buches facettenreicher. Doch die anderen Charaktere bleiben alle irgendwie einseitig. Da gibt es die eine herausstechende Charaktereigenschaft… und dann nichts mehr. Das wäre vllt. gar nicht so schlimm, wenn es nicht gleichzeitig so viele Personen wären. Ihre Familie. Seine Familie. Diverse Mitschüler aus dem eigenen Freundeskreis. Mitschüler mit denen beide nicht befreundet sind. Weniger Leute, mehr Tiefe. Es könnte so einfach sein.

Leider hat mich das Buch die meiste Zeit sehr wütend gemacht. Weil Finch für mich so gar nicht ging, weil die Umsetzung nicht ging, die Tiefe fehlte und da eine gute Gelegenheit nicht genutzt wurde.

Da hilft es auch leider nicht, dass es zwischendrin recht spannend war und mir der, nennen wir es mal „Showdown“, gefallen hat, weil man ihn vielleicht nicht direkt erwartet hat. Der Stil selbst war gut zu lesen. Für mich überwiegt da leider trotzdem der Ärger…