Rezension

Gute Unterhaltung mit Trend nach oben

Dunkelgrün fast schwarz - Mareike Fallwickl

Dunkelgrün fast schwarz
von Mareike Fallwickl

Bewertet mit 4 Sternen

Von dieser Autorin können wir noch etwas erwarten! Oder wars das doch schon? Ich denke nicht.

Moritz und Raffael sind Kindergartenfreunde. Moritz hat die Gabe, eine farbige Aureole um Menschen, Räume und Gegenstände zu sehen, auch Musik kann er als Farbe wahrnehmen. Synästhesie lautet der Fachbegriff dafür. Und das gibt es wirklich. Doch es ist Raffael, der Charisma hat.

Die Freundschaft der beiden tut ihnen nicht gut, sagt Marie, die Mutter von Moritz. Die Mutter von Raffael hat zuerst einmal keine Meinung.

Dieser Roman kommt sehr ruhig daher.

Der Stil ist frisch, es wird eine beunruhigende Atmosphäre aufgebaut, trotzdem passiert eigentlich nichts. Die Autorin benutzt sehr viele innovative Metaphern, wobei manche es auf den Punkt bringen und manche in die Hose gehen. So ist der Leser hin- und hergerissen. Obwohl es auch Abschnitte gibt, ohne dass die Autorin neue Bilder erfindet, und der Leser sich ausruhen kann davon, ist es insgesamt einfach zu viel des Guten. Zu viele Vergleiche, die alle neu sind, ermüden. Es hat einen Grund, warum eine richtig gute Erzählung mit Vertrautem arbeitet. Vertrautes gemischt mit ein bisschen Neuem, das ist gut. Neues, vermischt mit ein bisschen Vertrautem, funktioniert nur bei der jeweiligen Jury des Deutschen Buchpreises.

Die Figurenführung ist gut und nachvollziehbar. Das ist auch die Komposition des Romans.

Doch die interessanten Protagonisten sind in ihren Handlungen unglaubwürdig. Vor allem Marie ist merkwürdig passiv. Man kann doch nicht zu allem „ja und amen“ sagen. Marie ist immerzu beunruhigt, bespricht Probleme mit den Kindern aber niemals mit ihrem Mann. Oder sonst jemandem. Auch kann sie sich sehr schwer mit ihrem Leben in einem schönen Haus in einem Dorf arrangieren.

Bis in die Mitte des Romans bin ich sehr geduldig und warte. Doch dann gibt es einen Punkt, an dem ich mich zu langweilen beginne. Nicht, weil die Schreibe langweilig geworden wäre oder die Atmosphäre nachließe, nein, sie verdichtet sich sogar allmählich, sondern, weil ich die Personen nicht verstehe. Und dafür keine plausible Erklärung bekomme.

Ich verstehe Marie nicht, ich verstehe ihre Eltern nicht, die nie zu Besuch kommen, ich verstehe Alexander nicht, den Ehemann von Marie, ich verstehe Johanna nicht, eine weitere Kinderfreundin, die eine obsessive sexuelle Bindung entwickelt. Warum sind alle so, wie sie sind? So unnatürlich? Keinem von ihnen bin ich jemals begegnet in der Realität. 

Als ich den Roman deshalb gerade aufgeben möchte, beginnt ein sich schnell drehendes Karrussel an Auseinandersetzungen und Aussprachen: Es knallt.

Ist das, was uns Mareike Fallwickl kundtut, große Erzählkunst? Die Anhäufung von Seltsamkeiten, die sie braucht, um ihre Geschichte mit Plausibilität auszustatten, lässt mich zweifeln. Erzählkunst wäre es, aus Alltäglichkeiten, die wir alle kennen, eine Geschichte zu machen, die uns fesselt und in der wir uns doch wiederfinden. Aber Fallwickls Protagonisten sind zu abgedreht.

Dunkelgrün fast schwarz bietet dunkelgrüne, fast schwarze Unterhaltung mit rätselhaften Figuren, die sich nach und nach erklären, dabei aber in Klischees stecken bleiben. Gutes ist eben gut und Böses eben böse. Das muss man hinnehmen. Und daran krankt die ganze Geschichte.

Für die Königsklasse „Anspruchsvolle Literatur“ reicht es meiner Meinung nach nicht. Die Autorin muss zu tief in die Trickkiste greifen, um ihre Geschichte zu runden, doch im Sektor „Gute Unterhaltung“ bringt sie es aufgrund ihrer frischen Schreibweise und den gut ausgearbeiteten Figuren Moritz und Marie zu satten vier Punkten.

Fazit: Gute Unterhaltung mit Aufwärtstrend.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Frankfurter Verlagsanstalt, 2018

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 02. September 2018 um 08:43

Nach Deiner Rezi - zumindest dem überwiegenden Teil - hätte ich eigentlich mit 2-3 Punkten für dieses Buch gerechnet... Jedenfalls wieder eine für uns Buchinteressenten informative Rezi.

Naibenak kommentierte am 02. September 2018 um 16:00

"Warum sind alle so, wie sie sind? So unnatürlich? Keinem von ihnen bin ich jemals begegnet in der Realität." - ...aber es gibt sie, Wanda! Definitiv ;) Ich finde sie durchaus nicht zu abgedreht. Ja, es wird ein wenig übertrieben hier und da, jedoch ist das ja ein gängiges Mittel in der Literatur ;) Okay... das ist wahrscheinlich aber einfach Geschmackssache!!! Oder ist dir schlicht die "Anhäufung" speziellerer Charaktere too much? Das würde ich verstehen, denn diese haben wir hier definitiv. Jedoch hat es micht nicht sonderlich gestört.

Mich haben ganz andere Dinge etwas gestört. Zum einen auch ein Teil der Metaphern, die insbesondere im ersten Teil definitiv "in die Hose gingen" - sowas ist nicht gut. Und außerdem frage ich mich, warum Moritz diese, seine Gabe nicht nutzt. Das mit der Synästhesie bleibt so ein bisschen in der Schwebe und hätte meiner Meinung nach anders verarbeitet/ausgebaut werden können. Das ist ja so: er sieht Farben. Manchmal sind sie plötzlich anders. Er nimmt es zur Kenntnis. Aber warum es so ist oder sein könnte, das scheint ihn sein bisher über 30jähriges Leben kaum zu interessieren. Zumindest macht er überhaupt keine Anstalten, dem auf den Grund zu gehen. Nun gut, er hat wohl die Passivität seiner Mutter geerbt bzw. vorgelebt bekommen *lach*...

Ansonsten finde ich den Roman sehr atmosphärisch dicht und fesselnd. Hab ihn gern gelesen! 

Deine Rezi ist prima! Du beschreibst deine Kritikpunkte sehr gut! :)

wandagreen kommentierte am 03. September 2018 um 21:57

Aber Bi, du bestätigst das doch mit deiner Warumfrage. Warum lässt Moritz sich alles bieten? Ja, Sabrina schneidet die Frage einmal kurz an, (er ist wie die Mutter), aber da ist als Erklärung  schwach. Auch bei Marie versucht sie sich in der Erklärung Elternhaus, aber auch das ist schwach. Wie viele Menschen hat es gegeben mit einem verkorksten Elternhaus, die sich daraus befreit haben und ganz anders gelebt haben!

Und stimmt: diese Anhäufung. Das meine ich mit Trickkiste.

Am meisten hat mich aber Marie aufgebracht. Sie hatte eigentlich alle Möglichkeiten. Hättest du nicht mit deinem Sohn gerungen und ihm wieder und wieder ins Gewissen geredet. Maire sagt dem Achtjährigen Jungen: Beachte 8jährig!! "Das musst du selber wissen".

Dennoch: die Atmosphäre war klasse eingefangen und man kann nicht sagen, es sei ein schlechter Roman. Könnte ich einen solchen Debütroman schreiben, wäre ich recht zufrieden. (Gut, die Metaphern, äh, ja, da wäre ich besser).

Äh, fast hätte ich es vergessen: Moritz hat seine Gabe mehr als Fluch denn als Gabe begriffen.

 

Naibenak kommentierte am 04. September 2018 um 10:09

Hihi... ja gut, für Mo hab ich das jetzt bestätigt. Aber insbesondere, weil er anders ist und dies irgendwie so gar nicht "genutzt" wird. Mehr als Fluch meinst du? Hmm... möglich.