Rezension

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Guter Anfang, aber dann ...

Ich. Darf. Nicht. Schlafen, 6 Audio-CDs - S. J. Watson

Ich. Darf. Nicht. Schlafen, 6 Audio-CDs
von S. J. Watson

Bewertet mit 2.5 Sternen

Christine erwacht jeden Morgen ohne Erinnerungen an die letzten Jahre (Jahrzehnte). Sie weiß nicht, dass sie verheiratet ist, weiß nicht, dass sie einen Unfall hatte, der ihr das Erinnerungsvermögen raubte, manchmal weiß sie nicht einmal, dass sie erwachsen ist.
All dies muss sie jeden Morgen aufs Neue von ihrem Ehemann Ben erfahren. Jeden Tag. Doch als Christine anfängt, auf Anraten eines Psychiaters Tagebuch zu führen, stößt sie auf Ungereimtheiten und Lügen in ihrem Leben.
Das Buch ist in drei Teile unterteilt: Teil 1 Heute, Teil 2 Christines Tagebuch, Teil 3 Heute. 
Wir beginnen die Geschichte an einem Morgen, an dem Christine sich für Anfang zwanzig hält und als sie den Mann neben sich im Bett erblickt, denkt, sie hätte einen One Night Stand gehabt. Das finstere Erwachen steht ihr dann im Badezimmer bevor: Sie ist alt!
Überall um den Spiegel hängen Fotos. Fotos von ihr und Fotos von „Ben“, dem Mann, neben dem sie erwacht ist. Ihr Ehemann, wie er ihr erklärt. Von ihm erfährt sie, was sie nicht mehr weiß, nämlich, dass sie mit Mitte Zwanzig einen Unfall hatte, ein Auto hat sie auf winterlicher Straße angefahren, sie schlug mit dem Kopf auf und kann seither ihr Gedächtnis nicht mehr als 24 Stunden behalten. Jede Nacht, während sie schläft, wird alles vom vorherigen Tag einfach ausgelöscht. Sie hat eine seltene Form der Amnesie, genauer gesagt, zwei Arten der Amnesie die aufeinandertreffen.
Über das unrealistische Krankheitsbild schaue ich hier einmal hinweg. Was ich aber doch merkwürdig fand, war, dass Christine diese Erklärung einfach so akzeptiert. Würde man mir sagen, ich verliere mein Gedächtnis alle 24 Stunden, während ich schlafe, ich würde zu erst einmal versuchen, so lange wie möglich wach zu bleiben und mich nicht einfach abends brav ins Bett legen und einschlafen. (Ehrlich gesagt, das habe ich auch gerade bei dem deutschen Titel erwartet, der führt schon in die Irre).
Als Ben zur Arbeit aufbricht, erhält Christine einen Anruf von Dr. Nash, ihrem Psychiater. Bei einem Treffen an diesem Tag gibt dieser ihr ein Tagebuch, dass sie in den letzten Wochen geführt hat. Die Ereignisse dieser letzten Wochen erfahren wir dann in Teil 2. 
Ich muss zugeben, ich habe selbst, als mir – und ich lese ja sehr selten Thriller oder Krimis – dämmerte, in welche Richtung es geht, Christine die Stange gehalten. Was auch an der tollen Lesestimme von Andrea Sawatzki liegen kann. Dass sie aber so vollkommen mit Scheuklappen durch die Gegend rannte, war schon ein wenig störend. Aber in Teil 2 war es noch zum Aushalten und ich hatte wirklich die Hoffnung, dass es – für sie und von ihr aus – zu einem guten, spannenden Ende kommt. Zumindest hat mich die Story hier noch richtig gepackt, ich wollte ständig wissen, wie es weitergeht und auch wann Christine endlich erkennt, was hier vor sich geht und entsprechend handelt.
Habe ich über das unrealistische Krankheitsbild über die ersten beiden Teile hinweggesehen, so kann ich meine Probleme mit Teil 3 nicht einfach so ignorieren. 
 Warnung, aber hier gibt es massive Spoiler, weiterlesen auf eigene Gefahr, ihr wurdet hiermit ausdrücklich gewarnt:
 SPOILER:
 „Ben“ schlägt Christine grün und blau bei einem Streit und verlässt anschließend das Haus. Was tut Christine? Nein, sie ruft nicht die Polizei, bringt sich selbst in Sicherheit, ruft Dr. Nash oder ihre Freundin an. Sie schreibt die Erlebnisse in ihr Tagebuch und geht schlafen!!!
Was tut sie, als sie in ihrem Tagebuch darüber liest, dass „Ben“ sie geschlagen hat? Oder besser, was tut sie wieder nicht? Sie bleibt wieder, wo sie ist, sucht keine Hilfe, wozu zur Hölle gibt es die Polizei??? Es ist mir an dieser Stelle ehrlich gesagt egal, ob damit die Handlung vorbei wäre, es ist einfach nicht logisch, dass man in so einer Situation KEINE Hilfe sucht, sondern bei dem Psychopathen bleibt. Freiwillig. Es gibt Leute, die nennt man „zu doof zum Leben“ …
Und es wird noch besser: Als Christine und „Ben“ in dem Hotel ankommen und Christine allein ist, findet sie in „Bens“ Tasche herausgerissene Seiten ihres Tagebuchs. Sie liest sie in aller seelenruhe und … läuft noch immer nicht davon! „Ben“ kommt zurück, geht duschen, Christine liest weiter. Ich wäre an dieser Stelle schon allein an diesem Abend mindestens 10 Mal aus dem Zimmer gestürmt, zum Empfangsbereich des Hotels und hätte die Polizei gerufen. Stattdessen bleibt sie im Zimmer, bis es zu spät ist. Ich wiederhole: Zu doof zum Leben! Ja, es klingt hart, aber mit Christine kann man wirklich kein Mitleid mehr haben und auch wenn es noch härter klingt: Dass sie dann schließlich doch noch von der Polizei (!) gerettet wird, nachdem Dr. Nash (!) sie alarmiert hat (wenigstens einer kam mal auf die Idee), ist dann noch doofer. Hätte sie sich nicht wenigstens selbst befreien können. Wenigstens das hinbekommen können? Denn wenn sie sowieso durch die Polizei gerettet wird, hätte das auch schon zu Beginn von Teil 3 passieren können.
  
Fazit:
Die unrealistische Krankheit einmal ignoriert sind die ersten beiden Teile von „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ wirklich gut – auch wenn man recht schnell auf die richtige Fährte kommt, was hier wirklich vor sich geht. Doch mit Teil 3 macht das Buch alles zunichte. So viel unlogische und einfach nur strunzdumme Entscheidungen einer Hauptfigur habe ich – glaube ich – tatsächlich noch nie gesehen und ich hoffe, das bleibt ein einmaliges Ereignis!