Rezension

guter dystopischer Auftakt

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt - Andrea Schacht

Kyria & Reb - Bis ans Ende der Welt
von Andrea Schacht

Bewertet mit 4 Sternen

"Kyria und Reb - Bis ans Ende der Welt" ist der erste Teil einer neuen Jugendbuch-Reihe von Andrea Schacht, der sich in die lange Reihe aktueller Dystopien mit Liebesgeschichte einreiht. Bis auf ein paar Kleinigkeiten hat mir dieser Auftakt gut gefallen.

Zum Inhalt: 1975 brach in Europa eine Pandemie aus, die viele Leben kostete. Danach übernahmen die Frauen die Oberhand und gründeten New Europe, auch kurz NuYu genannt. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2125. NuYu ist den umliegenden Regionen, die sich diesem Staat nicht angeschlossen haben und Reservate genannt werden, technisch weit überlegen und kontrolliert alle Einwohner mittels eines Id-Armbands.
Die gerade 18 Jahre alt gewordene Kyria wird sogar noch strenger überwacht als andere, denn durch einen Gendefekt, an dem auch ihr Vater starb, lebt sie mit der ständigen Gefahr eines frühen Todes. Kyria gehört zu den "Electi", den mächtigen Einwohnern NuYus, und ist die Tochter einer einflussreichen Ministerin. Als sie ins Heilungshaus kommt, erfährt sie von ihre "Duenna" (Anstandsdame) Bonnie, dass sie bald sterben wird. Im Heilungshaus lernt sie auch Reb kennen, einen Ausgestoßenen, dessen Id gelöscht wurde und der in der sogenannten "Subcultura" lebt. Mit seiner Hilfe beschließt sie zu fliehen, um vor ihrem Tod ihre alte Freundin Hazel in einem Reservat wiederzusehen. Doch während der Reise erfährt sie auch, dass sie in einer Welt voller Lügen aufgewachsen ist...

"Kyria und Reb" ist eine Dystopie, die sich in hohem Maße den Themen Geschlechterkampf und Rollenverteilung zwischen Mann und Frau widmet. Nach der Pandemie haben sich die alten Rollen quasi umgekehrt, die Frauen haben die Macht übernommen und die Männer machen die Hausarbeit. In der Subcultura dagegen gelten wie auch in den Reservaten die alten Rollen. Zwar finde ich Emazipation durchaus interessant, aber dieses ständige "Das ist Männerarbeit/Frauenarbeit" fand ich zwischendurch etwas müßig und weder für die Handlung noch für die Atmosphäre besonders hilfreich, zumal es scheint, dass wirklich alle, ob in NuYu, in der Subcultura oder im Reservat, nur in den beiden Extremen denken - Gleichberechtigung ist wohl hier für keinen eine Lösung. Erst spät im Roman wird die Idee der männlichen Verweichlichung so thematisiert, dass sie einen neuen Aspekt zu der Unterdrückungsgesellschaft in Nuyu beiträgt, aber ob mir diese Entwicklung gefällt, wird sich erst noch in den Folgebänden zeigen müssen. Bis jetzt finde ich das Thema einfach zu sehr nach einem schwarz-weiß-Prinzip behandelt und daher etwas uninteressant.

Die Charaktere fand ich dagegen sehr gelungen. Die Ich-Erzählerin Kyria ist als ewig bemutterte, sorglose, priviligierte Tochter aus gutem Hause glaubhaft. Natürlich geht diese Glaubhaftigkeit einher mit einer gewissen Naivität, denn von der wahren Welt weiß sie wenig und hatte bisher keinen Grund, Dinge, die man ihr erzählt hatte, zu hinterfragen. Das lernt sie erst nach und nach und macht dabei im Laufe der Geschichte eine ordentliche Entwicklung zu einem stärkeren und eigenständigeren Charakter durch. Reb ist, wie sein Name schon andeutet, ein Rebell. Gerade am Anfand spricht er in einer fast unerträglichen Ghetto-Sprache, die sich aber immer wieder mit einer Sprache auf Kyrias Niveau abwechselt, sodass Kyria früh beginnt über seine Herkunft nachzudenken. Mit dieser Ambivalenz in der Sprache ist der Charakter Reb einzigartig und gelungen umgesetzt.

Für etwas Witz sorgen die Neckereien zwischen Kyria und Reb. Reb hält Kyria für eine verwöhnte Prinzessin und sie ihn für ungehobelt. Die Liebesgeschichte kommt erst langsam in Gang und ist alles andere als einfach, was mir gut gefallen hat. Zwischen den beiden Charakteren liegen Welten, die sich nun einmal nicht leicht überbrücken lassen. Trotzdem ist die Beziehung der beiden sehr romatisch und berührend schön und, da hier blinde Liebe und überstürzte Liebesschwüre ausgespart werden, ist sie auch angenehm frei von Kitsch und Schmalz.

Nach einen wirklich starken ersten Teil des Romans, der die spannende Flucht aus NuYu zum Thema hat und sowohl von der gelungenen Dystopie NuYu als auch von den beiden starken Protagonisten Kyria und Reb und ihren Sticheleien lebt, wurde die Geschichte meiner Meinung nach im zweiten Teil etwas verwirrend und langweilig. Passenderweise ist dieser Teil auch noch überschrieben mit "Der lange Weg" - lang kam es mir tatsächlich vor. Die Spannung verliert sich ein wenig in Spekulationen, Theorien über Sabotage und politischem Geplänkel. Kyria lernt zwar in dieser Zeit viel dazu und entwickelt sich weiter, in der Bezeihung zu Reb herrscht aber Stillstand. Das Ende nimmt dann wieder ordentlich Fahrt auf und entschädigt ein wenig für die weniger spannenden Passagen.

Den Schreibstil fand ich gut. Er ist locker und liest sich sehr flüssig. Auch die Covergestaltung, aufgrund derer mit das Buch direkt aufgefallen ist, ist sehr gelungen. Schön finde ich es auch, dass der Einband auch unter dem Papierumschlag den schönen Wald mit den pinken Blütenblättern und dem weichen Lichteinfall zeigt.

Mein Fazit: Obwohl ich mich mit der Art der Einbindung des Themas Geschlechterkampf in die Handlung nicht ganz anfreunden konnte und die zweite Romanhälfte etwas verwirrend und in die Länge gezogen fand, gefällt mir der Auftakt der "Kyria und Reb"-Reihe recht gut. Er ist gut geschrieben, hat eine schöne, kitschfreie Liebesgeschichte und ein offenes Ende verspricht eine spannende Fortsetzung.4 von 5 Sternen