Rezension

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Gutes Potenzial, schwache Umsetzung

Odd Thomas - Dean R. Koontz

Odd Thomas
von Dean R. Koontz

Bewertet mit 1.5 Sternen

Die Prämisse von "Odd Thomas" ist vielversprechend: ein Zwanzigjähriger, der Geister sieht und versucht, diese Gabe für das Gute einzusetzen. Leider scheitert diese Story jedoch dank gravierender Probleme in puncto Schreibstil, Charakterentwicklung und Handlungsstruktur.

Der Roman Odd Thomas handelt von dem einfältigen Koch Odd. Bereits sein ganzes Leben lang konnte der Zwanzigjährige Geister sehen. Als eines Tages eine Horde "Bodachs", stumme Vorboten des Todes, das kleine Provinzort Pico Mundo heimsuchen, steht für Odd fest, dass ein fürchterliches Massaker droht. Was hat es mit dem mysteriösen Fremden auf sich, den die Bodachs zu verfolgen scheinen? Im Wettlauf gegen die Zeit versucht Odd gemeinsam mit seiner Freundin Stormy und Polizeichef Porter das Rätsel zu lösen und das Unheil zu verhindern.

Keine Frage: kaum ein Element in Odd Thomas ist wirklich neu. An vielen Stellen erinnert dieser Roman an Geschichten wie The Sixth Sense, Ghost Whisperer, oder auch Forrest Gump, um nur einige Beispiele zu nennen. Dennoch könnte diese Handlung nicht nur äußerst spannend, sondern auch extrem unterhaltsam sein. Der gesamte Handlungsrahmen spielt sich nur in wenigen Stunden ab, in denen weder Odd noch der Leser zur Ruhe kommen - sollte man zumindest meinen. Hier einige Kritikpunkte:

 

Schreibstil

Leider hat der Roman mehrere bedeutende Schwächen, die nicht nur der Spannung abträglich sind, sondern auch den Spaßfaktor beim Lesen bedeutend verringern. Hier wäre zunächst der Tonfall: Der Roman ist als Memoire des Protagonisten geschrieben, welches Odd nach den grauenvollen Vorkommnissen niedergeschrieben hat. Leider kauft man Dean Koontz den Tonfall des simpel gestrickten, zwanzigjährigen Kochs jedoch nicht ab. Dafür ist der Schreibstil schlicht zu ausgelassen, zu elegant, zu klug.

So manchem Leser mag es auch negativ auffallen, dass scheinbar jeder einzelne Bewohner Pico Mundos samt seiner Lebensgeschichte im Verlauf der Erzählung vorgestellt wird - unabhängig davon, ob dieser Charakter nun für den Handlungsbogen relevant ist, oder nicht. Für diese Art von genrebedingt meist handlungsorientiertem Roman scheinen diese Beschreibungen eher untypisch und fehl am Platz. Mich persönlich haben diese Ausschweifungen jedoch eher weniger gestört.

Charaktere

Die Charaktere in Odd Thomas sind recht eindimensional und kaum voneinander zu unterscheiden: anscheinend jeder in dieser Stadt hat immer einen witzigen, sarkastischen Kommentar griffbereit. Diese Dialoge mögen den Leser zwar oft schmunzeln lassen, doch werden damit alle Charaktere - Odd mit eingeschlossen - über einen Kamm geschert und erscheinen als leblose, unglaubwürdige Karikatur. Zusätzlich greift Koontz bei den Hauptcharakteren auf altbekannte Klischees zurück, um ihnen mehr Tiefe zu verleihen: sexueller Missbrauch in der Kindheit, entfremdetes Verhältnis zu den Eltern, traumatische Erinnerungen, und so weiter. Es ist insbesondere dieser äußert leichtfertige Umgang mit Themen wie sexuellem Missbrauch der mir immer wieder die Laune am Lesen verdirbt, und keineswegs nur in der Literatur zu finden ist. Kann man Charakteren wie Stormy Llewellyn in Odd Thomas oder beispielsweise auch Lara Croft im Reboot von den Tomb Raider-Spielen tatsächlich nur Dreidimensionalität verpassen, indem man schlicht sexuelle Nötigung gleich einem Kunstgriff in ihre Vergangenheit einfügt? Insbesondere im Falle Stormys ist dies ein missratener Griff, der zudem auch noch eine fragwürdige Botschaft sendet: Stormy möchte nicht mit Odd schlafen, bevor sie nicht verheiratet sind. Als Erklärung hierfür wird angegeben, dass Stormys Stiefvater sie als siebenjähriges Kind drei Monate lang sexuell missbraucht hätte - als ob solch ein Verbrechen die einzige Erklärung für Stormys Entscheidung sein könnte!

 

Handlungsstruktur

Nun zum letzten Punkt auf meiner Liste: Handlungsstruktur. Auch wenn Odd Thomas sicherlich auf einen Höhepunkt hinarbeitet, so ist der Weg dorthin äußerst wirr, um nicht zu sagen planlos. Es ist weniger Odds rationales Schlussfolgern, welches die Erzählung vorantreibt, als vielmehr sein Bauchgefühl. Oftmals fährt er ziellos durch Pico Mundo, darauf wartend, dass seine Gabe ihm intuitiv verrät, wo er als nächstes hinfahren soll. Besonders überflüssig scheint Odds Besuch bei seinen Eltern gegen Ende des Romans: nicht wissend, wo er als nächstes nach Hinweisen such soll, fährt Odd schlicht zu seinem Vater, nur um dort zu begreifen, dass er eigentlich zu seiner Mutter fahren muss, um dort wiederrum zu verstehen, dass er eigentlich zu der Leiche des Mannes zurückkehren muss, die er erst vor wenigen Stunden versteckt hat, um dort zu entdecken, dass...und so weiter. Der Leser sucht vergebens nach zufriedenstellenden "Aha"-Momenten und stolpert stattdessen gemeinsam mit Odd von einer Situation in die nächste.

Zum Schluss noch ein größerer Spoiler, der das Ende des Buches betrifft:

Stormy kommt in dem Massaker um. Dies war für mich ein wirklich herzzerreißender Moment. Zwar ist auch Stormy, wie oben bereits erklärt, ein recht flacher Charakter, edoch erscheint sie noch am glaubwürdigsten. Möglicherweise hat Koontz diesen Charakter sterben lassen, um dem Roman etwas Erhabenes, Grandioses zu verleihen. Wieder ein Missgriff! In Anbetracht der eher mittelmäßig bis schlechten Qualität des Buches bis zu diesem Punkt, erscheint Stormys Tod gegen Ende schlicht wie der verzweifelte Versuch, den Roman auf den letzten Drücker doch noch in "Weltliteratur" zu verwandeln.

 

Das endgültige Fazit: als unterhaltsame Strandlektüre reicht dieser Roman für Fans des Genres sicherlich aus, wird jedoch kaum das neue Lieblingsbuch werden. Dafür fallen einfach zu viele Schwächen auf.

 

Zu dem Roman gibt es übrigens auch einen Film mit dem gleichen Namen. Dieser Film ist jedoch niemandem zu empfehlen, unabhängig davon, ob die Romanvorlage bekannt ist, oder nicht.