Rezension

Haarmann und seine Puppenjungs

Haarmann - Dirk Kurbjuweit

Haarmann
von Dirk Kurbjuweit

Bewertet mit 3 Sternen

Von Haarmann erfuhr ich als kleines Kind von meiner Großmutter. Sie ist Jahrgang 1907 und der Prozeß um den Serienmörder und die Anzahl seiner Opfer waren ganz sicher eine der schrecklichsten Nachrichten in ihrer Jugend. Der große Hype um diesen Mann drang damals natürlich auch nach Sachsen. Im Laufe der Jahre vergaß ich den Fall wieder, aber die schlimmen Fakten seiner Taten waren mir durch das „Warte, warte nur ein Weilchen..."-Lied immer gegenwärtig.

Dirk Kurbjuweit schrieb nun mit „Haarmann“ einen Kriminalroman. Ich erwartete eine packende Lektüre und wurde enttäuscht. Der Autor stellte nicht den Mörder in den Vordergrund. Kommissar Lahnstein, der leitende Ermittler, spielt die Hauptrolle. Obwohl er ein dichtes, sehr authentisches Bild der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zeichnet, ich ein sehr genaues Gefühl anhand der geschichtlichen Details dafür bekam, warum Haarmann so viele sehr junge Männer abschlachten konnte, blieb die Spannung für mich auf der Strecke. Warum? Weil immer wieder die Geschichten von Robert Lahnstein in den Vordergrund gerückt werden. Das kommt eine ganze Menge zusammen:

das Kriegstrauma ums Fliegen, die geringe Anzahl seiner Abschüsse, die politische Zugehörigkeit zur SPD, seine Rolle bei der Polizei in Hannover und wiederholt seine Alpträume um Frau Lissy und Sohn August, die er verlor (den Grund erfährt der Leser fast zum Schluß) und nicht zuletzt die quälenden Gedanken um seine sexuelle Orientierung, Gedanken darüber ob er nicht auch ein am 17.5. Geborener sei (17.5. stand für den § 175 StGB).

Über 10 ausgiebige Kapitel und 316 Textseiten entwickelt sich die Ermittlungsarbeit um die zahlreichen, verschwundenen männlichen Teenager verhältnismäßig zäh. Kursiv geschriebene Seiten aus der Sicht von Haarmann oder eines seiner Opfer wechseln sich ab. Die Art und Weise der Erzählung allerdings fand ich interessant. Die fehlenden Anführungszeichen der wörtlichen Rede störten mich nicht. Es behinderte meinen Lesefluß nicht.

Auch die grusligen Fakten der Todesumstände der vielen jungen Opfer werden ausführlich dargestellt. Über die merkwürdige Verbindung Fritz Haarmanns mit Hans Grans hätte ich gern mehr erfahren.

Fazit:

Dirk Kurbjuweit recherchierte für sein Buch gut und sehr präzise. Es ist besonders für die Leser interessant, die den Fall Haarmann so gründlich mit den realistischen Aspekten der Zeitgeschichte verknüpft sehen wollen. Er verband die wahre Kriminalgeschichte Haarmanns mit der fiktiven Lebensgeschichte Lahnsteins und gewährte intensive Einblicke in die Realität der damaligen Zeit. Dabei empfand ich es leider mehr als ein spannendes Sachbuch als einen fesselnden Krimi.