Rezension

Habe anderes erwartet…

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 3 Sternen

„Rote Kreuze“ ist ein Roman des weißrussischen Schriftstellers  Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, der auf Russisch schreibt. Es  ist der erste seiner fünf Romane, der auf Deutsch erscheint, und beschreibt die düstere Geschichte Russlands zur Zeit Stalins und des zweiten Weltkrieges - im doppelten Sinne ein Mahnmal gegen das Vergessen: zum einen in gesellschaftlicher Hinsicht, zum anderen vor dem Hintergrund der Alzheimererkrankung von Protagonistin Tatjana Alexejewna.

Zum Inhalt:  Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzweigerissen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt. Nach und nach erkennen die beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen.

Leider konnte ich gerade von der angesprochenen Freundschaft zwischen Tatjana und Alexander wenig erkennen. Ich hatte ein wenig „Harold und Maude“ erwartet oder auch nur eine Art Austausch oder Gespräch zwischen den beiden Protagonisten, aber das ganze gleitet eher in einen Sachbericht Tatjanas ab. Klar, Tatjana erzählt Alexander ihre Lebensgeschichte, dies aber in Form eines seitenlangen Monologes, bei dem keinerlei Emotion, selbst wenn die fürchterlichsten Dinge passierten, bei mir ankam.

Das mag zum Teil auch am Schreibstil liegen: die Erzählperspektive wechselt ständig, sogar innerhalb eines Absatzes und auch teils auch innerhalb der direkten Rede, so dass man als Leser an manchen Stellen erst mal analysieren musste, ob man sich in der Rahmenhandlung der Gegenwart (= der Erzählung Tatjanas Alexander gegenüber) oder in ihrer erzählten Lebensgeschichte in der Vergangenheit bewegt.

Dazu erzählt Tatjana mal in der persönlichen Erzählperspektive („ich“), teils unpersönlich und distanziert in der dritten Person („Tatjana Alexejewna tat dies oder jenes“). Als Unterbrechung des Erzählflusses empfand ich auch die seitenlange wörtliche Wiedergabe von Schriftstücken und Dokumenten, da Ganze mutete wie ein Auszug aus einem Schulgeschichtsbuch mit Textbeispielen an.

Der zweite Handlungsfaden des Romans, Alexanders Lebensgeschichte, hat mich ebensowenig berührt: sie war irgendwie „dazwischengepackt“, wie um zu zeigen, dass es auch schreckliche Dinge in der Gegenwart gibt. Dabei werden Liebes- und Lebensgeschichte aber auch seltsam emotionslos dargestellt: weder ist der Überschwang der großen Liebe nachvollziehbar - das wirkt nur seltsam gekünstelt und überstürzt - noch das menschliche Drama, dass sich anschließt. Einzig an dieser Stelle habe ich in dem Buch eine persönliche Betroffenheit empfunden, weil ich mich fragte, wie ich wohl in der Situation Alexanders oder seiner Frau reagiert hätte.

Fazit: für mich nur eine bedingte Leseempfehlung und wer sich vom Klappentext eine tiefe, emotionale Freundschaft zwischen Tatjana und Alexander erwartet, der wird enttäuscht werden.