Rezension

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Hätte mehr Aufmerksamkeit verdient

Die Oberfläche des Glücks - Claire Kells

Die Oberfläche des Glücks
von Claire Kells

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt
5 Tage lang wusste Avery nicht, ob sie den nächsten Morgen erleben würde. Nach einem Flugzeugabsturz saß sie in der Wildnis fest und hat um das Überleben der drei kleinen Jungs gekämpft, die mit ihr dort waren. Mit ihr und Colin, dem einzigen Menschen, der sie daran hindert, in dieser Zeit den Kopf zu verlieren. Niemand weiß, was in diesen 5 Tagen wirklich geschehen ist, denn Avery spricht nicht darüber. Sie hat sich vollkommen zurückgezogen, von ihrem Freund Lee, dem Schwimmteam und auch von Colin. Jeder Tag wird für sie zum Kampf. Einer, der noch schwerer ist, als der Kampf ums Überleben.

Meine Meinung

Der Einstieg in die Geschichte ist mir unglaublich leicht gefallen: zum einen aufgrund des Schreibstils, der meinen ganz persönlichen Geschmack getroffen hat, zum anderen aufgrund der Protagonistin Avery, zu der ich auf Anhieb einen Draht hatte. Sie ist nicht der Typ für pubertäre Dramatik oder fürs Luftschlösserbauen, eher die Sorte "Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was, sondern bei So isses". Genau das hat sich auch während des Flugzeugabsturzes bzw. unmittelbar danach ausgezahlt. Sie hat zwar Angst gehabt, hat sich oftmals ratlos gefühlt, aber sie hat sich zusammengerissen, von Moment zu Moment gelebt und das beste aus der Situation gemacht. Diese Eigenschaften habe ich an ihr sehr gemocht, weshalb mich ihr innerer Kampf auch nicht kalt gelassen hat.
Die Entscheidung, die Geschichte nicht chronologisch zu erzählen, war prinzipiell eine gute Lösung, hatte aber auch seine Tücken. Ich mochte den Wechsel zwischen dem gegenwärtigen Geschehen und der Rückblende zum traumatischen Flugzeugabsturz bzw. den Ereignissen danach. Dadurch war die Frage, ob sie überleben, von Anfang an vom Tisch und man musste nicht befürchten, dass man am Ende einen herben Verlust zu verkraften hat. Mich hat das sehr beruhigt. Stattdessen stand ständig die Frage im Raum, was denn nun auf der Insel passiert ist. Genau das hat für mich während des Lesens den Reiz ausgemacht. Allerdings (und das ist der Knackpunkt) war die Auflösung selbst nicht so spektakulär, wie man aufgrund von Averys Schweigen vielleicht vermutet hätte. Das war für mich letztlich das Zünglein an der Waage, warum ich nicht restlos begeistert vom Buch begeistert war. Die Struktur hat zwar neugierig auf den Ursprung, das Davor, gemacht. Da aber der Knalleffekt mit dem Flugzeugabsturz schon von Anfang an bekannt war und sich letzten Endes auch als der einzige erwiesen hat, hat man retrospektiv das Gefühl, als wäre die Story danach etwas unaufgeregt vor sich hingeplätschert.
Neben der Verarbeitung der Katastrophe gibt es noch einen zweiten thematischen Schwerpunkt: das Liebesdreieck zwischen Avery, Colin und Lee. Man mag sich jetzt vielleicht fragen, ob das denn wirklich nötig gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich war es das nicht. Es hat der Geschichte allerdings auch nicht direkt geschadet. Da die Autorin teilweise auch zurück zum Kennenlernen von Avery, Colin und Lee springt, kann man ihre Entwicklung mitverfolgen. Dadurch war es für mich einfacher, ein Gefühl für die drei als Individuen zu entwickeln und mir ein Bild von dieser unglücklichen Dreiecksgeschichte zu machen. Klischees sind zwar auch hier vorhanden, aber nicht in einem Umfang, dass sie mich gestört hätten. Zumal sich Lee auch nicht als "der Böse" entpuppt hat, wie das in den meisten Fällen ja ist und durchaus ein paar glanzvolle Momente hatte. Es war auch nicht sonderlich schwer, Sympathien für Colin zu entwickeln: Er ist ein Sonnyboy durch und durch, noch dazu höflich, rücksichts- und aufopferungsvoll und selbst in schwierigen Situationen positiv denkend. Und natürlich sieht er klasse aus (für mich persönlich war das schon wieder zu viel des Guten, aber sei´s drum). Dadurch konnte ich gut nachvollziehen, warum Avery zwischen den beiden hin- und hergerissen war. Ich bin auch sehr froh gewesen, dass die Autorin einem die übertriebene Melodramatik einer pubertären Lovestory erspart hat. Ich hatte zumindest das Gefühl, dass die drei doch etwas erwachsener mit dem Problem umgegangen sind.

Mein Fazit

"Die Oberfläche des Glücks" hat die meisten meiner Erwartungen erfüllt, aber letztlich nicht alle. Claire Kells bringt das Bedrückende, die Ernsthaftigkeit, der Thematik gut rüber, ohne den Leser zu erdrücken. Die unchronologische Ereigniswiedergabe sorgt für Dynamik, hat aber retrospektiv einen Schönheitsfehler: der Höhepunkt steht am Anfang und bekommt kein entsprechendes Pendant zum Schluss. Mich persönlich hat das etwas unbefriedigt zurückgelassen.

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