Rezension

Häusliche Gewalt - ein intensives, sensibles und sprachlich grandioses Debüt

Liebe ist gewaltig -

Liebe ist gewaltig
von Claudia Schumacher

Bewertet mit 5 Sternen

Sehr ehrlich, erschütternd, augenöffnend - sprachlich grandios

"Ein Teil von mir glaubt noch immer, dass ich schlecht bin. Dass ich jeden Schlag in meinem Leben verdient habe." (S.366/367)

Dieser Satz stammt von Juli, der Ich-Erzählerin in diesem grandiosen Debüt-Roman von Claudia Schumacher. Zu Beginn des Romans lernen wir sie als 17jährige kennen, die in einer Vorzeigefamilie mit 3 Geschwistern aufwächst. Beide Eltern sind Rechtsanwälte und sehr angesehen. Doch hinter den Kulissen herrscht das Grauen: der Vater ist gewalttätig, verprügelt Frau und Kinder, misshandelt sie physisch wie psychisch. Die Frau, als Opfer, wird zur Mittäterin, wenn es um die eigenen Kinder geht. Die Kinder werden mit schönen Dingen und Geld immer wieder ruhiggestellt - das klassische "Zuckerbrot & Peitsche" - Spiel. Die Kinder verhalten sich währenddessen sehr unterschiedlich. Alex verkriecht sich in die Welt der Bücher während Juli um jeden Preis gefallen will und bis auf's Blut um Anerkennung kämpft. Mit ihren mathematischen, analytischen Begabungen durchschaut sie die Machenschaften durchaus, kann sich aber nicht befreien. Nach außen hin muss die schöne Fassade gewahrt bleiben. So weit, so furchtbar. Dies ist harter Tobak und sicher nicht für jede*n Leser*in geeignet.

Dann ein Zeitsprung - 10 Jahre später. Juli und ihre Geschwister versuchen ihre Leben in den Griff zu bekommen, es fällt fast allen unendlich schwer sich zurechtzufinden. Es kommt regelmäßig zu Zusammenbrüchen unter der schweren Last der Traumata. Doch niemand redet. Niemand "verrät" das Elternhaus...

Noch ein Zeitsprung. Zwei Jahre sind erneut vergangen und einige Dinge ändern sich. Verzweifelt klammert Juli sich ans Leben. Sie will leben um jeden Preis und probiert eine neue Herangehensweise. Eine radikale Veränderung. Schafft sie es letztlich, den Schritt in die Freiheit und weg von ihren Peinigern? Was wird aus ihren Geschwistern?

Dieses Buch ist so feinfühlig und direkt - so authentisch - ,dass es einen schier umhaut. Durch die psychologisch analytischen Gedanken Julis werden mir oftmals die Augen geöffnet und ich verstehe ganz genau, was sie meint und wie alles mit allem zusammenhängt. Die enorme Ambilvalenz der Gefühle in solch dysfunktionalen Familien ist tragisch und gleichzeitig erklärend für so Vieles. Insbesondere die Tragweite bis ins Erwachsenenalter bringt die Autorin sehr detailliert und intensiv zum Ausdruck. Sprachlich eine Wucht, thematisch sowieso. Ein so wichtiges Buch zum Thema "häusliche Gewalt", das ich allen (die es sich zutrauen) wärmstens ans Herz lege.

Ein erschütternder, feinfühliger, sehr intensiver und augenöffnender, psychologisch wertvoller - großartiger - Debütroman! Chapeau!