Rezension

Hannahs Briefe - Brasilianische Legende.

Hannahs Briefe - Ronaldo Wrobel

Hannahs Briefe
von Ronaldo Wrobel

Geheime Briefe zeichnen die Spuren eines Lebens.

Dass es von schicksalhafter Bedeutung sein würde, dass Hauptmann Avelar von der brasilianischen Geheimpolizei ihn zu sich bestellt, kann der jüdische Schuster Max Kutner nicht wissen.

1899 in Polen als Sohn von Leon und Reisele Goldstein geboren, verläßt er im Strom der europäisch-jüdischen Auswanderer 1928 seine Heimat und landet in Rio de Janeiro, wo er eine kleine Schuhmacherei betreibt.
 
Das Mißtrauen der brasilianischen Obrigkeit unter Präsident Vargas, die regierungsfeindliche Umtriebe vermutet und eine Briefzensur einführt, der alle Korrespondenz aus dem Ausland unterworfen wird, stellt Übersetzer in allen Sprachen ein, um die Inhalte zu prüfen.

Max Kutner werden die jiddischen Nachrichten zugedacht, und eine Möglichkeit, diesen "Dienst am Vaterland" abzulehnen, hat er nicht, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Also wandert alles Jüdische nun durch seine Hände, unter Anderem auch ein Briefwechsel zwischen den beiden Schwestern Hannah und Guita.
Je mehr Worte er über Hannah liest, je näher sie ihm in seinen Phantasien kommt, desto inständiger und drängender wird sein Wunsch, diese geheimnisvolle Frau kennenzulernen, nahezu besessen ist er von diesen Gefühlen, deren Hoffnung auf Erfüllung sein ganzes Leben verändern wird.

Ronaldo Wrobel hat einen ungewöhnlich eindrucksvollen Roman geschrieben.
Er spannt einen weiten Zeitbogen über ein intensives Stück Weltgeschichte voller Aufruhr und Umbruch. Die politischen Strömungen spülen Menschen, deren Wurzeln keinen sicheren Halt mehr bedeuten, in aller Herren Länder, sowie auch hier in das riesige Auffangbecken Brasiliens, Rio de Janeiro.
Mit ungeuer intensiver Sprachgewalt malt Wrobel die überhitzte, skrupellose, menschenverachtende Atmophäre dieses gierigen Schlundes, der so rücksichtslos ist wie die Zeit, die ihn geformt hat.
Die Protagonisten des Werkes sind ausnahmslos detailliert und  vorstellbar skizziert, ihre Handlungen unter den damaligen Gegebenheiten auch nachvollziehbar oder zumindest erklärlich.
 
Für mich ist dieser Roman in allen Belangen ein besonderes Leseerlebnis, weil alles stimmig ist, vielfältige Handlungsstränge in intelligenter und fesselnder Weise miteinander in Berührung kommen, Eines aus dem Anderen erwächst und sich bedingt.
Ein wunderbares, erstaunliches Wortgemälde, das man nur zögernd aus der Hand legt.