Rezension

Hannas Geheimnis

Der Vorleser
von Bernhard Schlink

Klappentext:
Sie ist reizbar, rätselhaft und viel älter als er ... und sie wird seine erste Leidenschaft. Sie hütet verzweifelt ein Geheimnis. Eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht er sie wieder. Die fast kriminalistische Erforschung einer sonderbaren Liebe und bedrängenden Vergangenheit.

Der Autor:
Bernhard Schlink, geboren 1944 bei Bielefeld, ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Seinen ersten Kriminalroman, ›Selbs Justiz,‹ veröffentlichte er zusammen mit Walter Popp. 2001 wurde die Trilogie um den Privatdetektiv Gerhard Selb mit ›Selbs Mord‹ abgeschlossen. Der 1995 erschienene Roman ›Der Vorleser‹, die 2000 und 2010 veröffentlichten Erzählbände ›Liebesfluchten‹ und ›Sommerlügen‹ sowie die Romane ›Die Heimkehr‹ (2006) und ›Das Wochenende‹ (2008) begründeten seinen schriftstellerischen Weltruhm.

Meine Meinung:
Der 15jährige Michael Berg begegnet eines Tages der wesentlich älteren Hanna Schmitz. Er fühlt sich nicht gut, ist an Gelbsucht erkrankt, und sie bringt ihn nach Hause. Als es ihm endlich besser geht, ermuntert ihn seine Mutter, der Frau zu danken, die ihm geholfen hat. Und so macht er sich auf den Weg zu Hanna, was den Beginn einer erotischen Beziehung einläutet. Durch sie wird er in die Liebeskunst eingeführt und lernt Sehnsüchte und Zurückweisung kennen. Michael wird abhängig von Hanna und ihren Launen, denn sie ist eine Frau, die sich mit Geheimnissen umgibt, die nie richtig greifbar wird und für die er etwas tut, um das sie ihn bittet: Er liest ihr Bücher vor. Von nun an besteht Michaels Leben nicht nur aus dem tristen Schulalltag, sondern ist erfüllt von früher Sexualität und Lektüren, die Hanna mitfiebern, lachen und leiden lassen - so sehr geht sie mit den Geschichten mit. Und er selbst blüht auf, erduldet so manches, spinnt sich ein Kokon aus Lügen, um sie immer wieder zu treffen.
Doch eines Tages ist Hanna auf und davon. Verwirrt und traurig bleibt Michael zurück. Viele Jahre später sieht er sie wieder, an einem Ort, mit dem er niemals gerechnet hätte. Hanna wird angeklagt, eine ehemalige KZ-Aufseherin gewesen zu sein und Menschen kaltblütig in den Tod geschickt zu haben.

"Der Vorleser" ist ein Buch, das man nicht so leicht vergisst. Dem Autor ist es gelungen, eine spannende, atmosphärisch dichte Erzählung über die erste Liebe, Schuld und Sühne und gegen das Vergessen zu schreiben, die berührt und zeigt, dass man von einem Menschen nicht jede Seite kennt. Insbesondere die eine Seite nicht, die er gekonnt verbirgt - zumal derjenige selbst auch mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben will, bis sie ihn einholt - ob gewollt oder nicht.

Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen im Zweiten Weltkrieg werden hier etwas anders behandelt, denn man sieht Hanna als Mensch, als Frau, die durchaus durch eine interessante Persönlichkeit besticht, ohne zu leugnen, dass das, was sie getan hat, egal auf welcher Ebene, nicht entschuldbar ist. Hier wird auch anschaulich gezeigt, wie mit den Tätern des Holocaust in den 60er Jahren verfahren wurde.
Michael wurde früh erwachsen, mutiert zum Einzelgänger und kann Hanna nie vergessen, so sehr hat sie sein Leben geprägt.

Mich hat die sprachliche Schönheit des Werkes fasziniert, die Gedanken über das Leben, über Würde, Reue und Schuld. Eine beeindruckende Schilderung über eine Beziehung voller Geheimnisse, die nicht sein durfte, und die sich doch entwickelte und zwei Menschen für sich einnahm, die nach Gefühlen und Hingebung suchten. Nach einem Platz des Vergessens.

Die Verfilmung mit Kate Winslet und David Kross kann ich auch empfehlen. Die beiden Schauspieler hauchen den Figuren Leben ein und man bekommt ein jeweiliges Gesicht noch zum Gelesenen dazu.

5 Sterne.