Rezension

Harte Kindheit in einem Reisbauerndorf

Schreie im Regen - Yu Hua

Schreie im Regen
von Yu Hua

Bewertet mit 4 Sternen

Sun Guanglin wächst in den 60ern mit zwei Brüdern im kleinen Reisbauerndorf Nanmen auf. Die Brüder vereint ihr mittlerer Name Guang, Guangping ist der ältere der drei, Guangming der Jüngste. Völlig überraschend für Guanglin wird er eines Tages von einem dunkel gekleideten Fremden aus dem Dorf abgeholt, für den er in der Stadt im Haushalt arbeiten und der ihn dort zur Schule schicken wird. Guanglin wird gesagt, seine Eltern hätten ihn verschenkt. Fünf Jahre später kehrt der Junge in sein Dorf zurück, in dem er sich von nun an fremd wie ein adoptiertes Kind fühlt. Im Rückblick lässt sich vermuten, dass Guanglins Eltern ihr Kind als Arbeitskraft an den Mann aus der Stadt verkauft haben.

Guanglin erzählt aus seiner Kindheit, anfangs mit dem Blick eines sensiblen Sechsjährigen, der vermutlich viele Erlebnisse  noch nicht einordnen konnte. Der Rückzugsort des Jungen ist der Dorfteich, von dem er vieles beobachtet, das nicht für Kinderaugen und -ohren bestimmt ist. Es entsteht vor allem das Bild eines neidzerfressenen, gierigen und lüsternen Vaters. Völlig gegensätzlich zu seinen Erlebnissen beobachtet Guanglin bei der neu aus der Stadt zugezogenen Familie Su, dass Eltern und Kinder auch ein inniges, vertrauensvolles Verhältnis zueinander haben können. Das Bild des Vaters Su, der fröhlich klingelnd mit seinen Söhnen vorn und hinten auf dem Dienstfahrrad des Krankenhauses herumkurvt, wird fortan Guanglins Traum von Familie sein. Leser der Gegenwart werden in dieser Szene die bescheidenen Lebensverhältnisse bemerken:  Dr Su hat kein eigenes Fahrrad, beim Umzug schiebt Su die Hälfte des Hausstands seiner Familie selbst im Karren. Obwohl der ältere Bruder Guangping stets die Führerrolle beansprucht hat, scheint ihm das im Rückblick nicht für ein erfolgreiches Leben genügt zu haben, während Guanglin für alle überraschend die Aufnahmeprüfung für die Universität in Beijing schaffen wird.

Yu Huas Roman einer harten Kindheit wird von Sun Guanglin in der Ichperspektive erzählt, in die allmählich der veränderte Blick des erwachsenen Erzählers einfließt. Guanglin berichtet, er wertet nicht. Das Entsetzen über seine lieblose, trostlose Kindheit entsteht dabei allein in der Vorstellung des Lesers. Verfasst wurde „Schreie im Regen“ 1991 und zunächst in einer Zeitschrift veröffentlicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung stand China am Anfang einer bemerkenswerten technischen und gesellschaftlichen Veränderung, die im Vergleich zu Europa praktisch eine Generation übersprungen hat. Ein Sprung wie aus der einfachen Hütte ohne Zwischenstufe direkt in die Hochhauswohnung mit Klimaanlage. Den Rückentext des Romans, Yu Hua würde hier von einem vergessenen China erzählen, kann ich so nicht unterstützen. Kinder von Wanderarbeiten in den Städten und Kinder in abgelegenen Dörfern wachsen bis heute in bescheidensten Verhältnissen auf – und die Erlebnisse der wie Guanglin in den 60ern geborenen Eltern haben die folgende Generation entscheidend geprägt.

Ein hartes Schicksal, für das  Leser bereit sein sollten.