Rezension

Harte Zeiten

Das Barackenmädchen - Peter Mainka

Das Barackenmädchen
von Peter Mainka

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wer eine Opferrolle spielt, hat schon so gut wie verloren, weil er sich damit seine Würde nehmen lässt...“

 

Helene feiert ihren 90. Geburtstag. An diesem Tag schließt sie, ihrer Enkelin von einer schwierigen Zeit ihres Lebens zu erzählen.

Dann wechselt die Geschichte in den April des Jahres 1945. Auch in Brünn, einer Stadt im Protektorat Böhmen und Mähren, bestimmt der Krieg das Leben. Die 16jährige Helen kann sich nur kurz von ihrem tschechischen Freund Jan verabschieden, bevor sie mit der Mutter und ihrem kleinen Bruder Karl vor der anrückenden Roten Armee nach Tabor flieht. Über den Aufenthalt des Vaters ist die Familie im Ungewissen.

Nach dem 8. Mai allerdings werden sie aufgefordert, nach Brünn zurückzukehren. Sie ahnen nicht, was sie dort erwartet.

Der Autor hat einen fesselnden Roman geschrieben, der in weiten Teilen auf historischen Tatsachen beruht.

Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Der Schriftstil lässt sich flott lesen. Dadurch, dass Helene das Geschehen aus ihrer Sicht erzählt, bekommt es eine zusätzliche Authentizität.

Nach ihrer Ankunft in Brünn erleben Helene und ihre Familie die Rache der Sieger. Jetzt ist es den Deutschen verboten, die Straßenbahn zu benutzen oder Deutsch zu sprechen. Dafür ist das Tragen einer Armbinde Pflicht. Die ehemalige Wohnung ist von Tschechen besetzt. Helene und ihre Mutter werden zum Arbeitsdienst verpflichtet. Jan erklärt das so:

 

„...Leider gibt es derzeit eine Mehrheit, die die Deutschen am liebsten aus dem Land jagen würde. Du darfst aber auch nicht vergessen, was die Gestapo und die SS mit meinen Landsleuten angestellt hat...“

 

Sehr gut werden Helenes Gefühle herausgearbeitet. Sie kann es nicht verstehen, dass Frauen und Kinder nun dafür büßen wissen, was Männer angerichtet haben. Schon auf den Weg zurück nach Brünn geht ihr folgender Gedanke durch den Kopf:

 

„...Wieder eine Lüge! Das schmerzte. Aber hatten wir uns nicht an Lügen gewöhnt? Waren die Kinder der Kriegsjahre nicht mit Lügen groß geworden?...“

 

Doch es sollte schlimmer kommen. Alle deutschen Einwohner werden aufgefordert, sich im Altbrünner Klostergarten einzufinden. Es beginnt ein Marsch ins Nirgendwo. Helene wächst über sich hinaus. Sie gewinnt an Reife, setzt sich für Kranke und Gebrechliche ein und geht dabei an die Grenzen ihre Möglichkeiten.

Der Autor versteht es, unterschiedliche Facetten der Zeit gekonnt im Geschehen zu integrieren. Während ich bei Jans Freund immer das Gefühl habe, dass er auf einen sehr persönlichen Rachefeldzug ist und Freude empfindet, andere in Angst und Schrecken zu versetzten, lerne ich gleichzeitig Menschen kennen, die sich Mitgefühl bewahrt haben. Manch einer erinnert sich, dass Helenes Mutter als Krankenschwester viel Gutes getan hat. Ich denke insbesondere an die Bäckerin Frau Dvorak, den jungen Tschechen Pavel oder Dr. Pokorna.

Auch die Soldaten der Roten Armee werden differenziert betrachtet. Es geht nicht nur darum, dass sie sich Frauen holten, wenn ihnen danach war. Helene erlebt, wie sie eine alte und gebrechliche Frau zu einem Bauern brachten, damit der ihnen hilft.

Zu den positiven Aspekten der Geschichte gehört die Begegnung mit der rumänischen Einheit. Die Worte des Verantwortlichen setzen sich wohltuend von den bisher Erlebten ab:

 

„...Schließlich sei der Kampf zu Ende und schließlich führe man keinen Krieg gegen Frauen, Kinder und alte Leute...“

 

Das Handeln dieser Soldaten rettet manch einem das Leben.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Hier wird ein Stück Geschichte in ihrer Vielfalt aufgearbeitet. Erneut wird deutlich, dass die Leidtragenden von Krieg und Gewalt meist Frauen und Kinder sind. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Dadurch erhält das Buch eine gewisse Aktualität.