Rezension

Hat Harari Atwood gelesen?

Homo Deus - Yuval Noah Harari

Homo Deus
von Yuval Noah Harari

Bewertet mit 5 Sternen

Bei der Rezension von "Homo Deus", dem neuen populärwissenschaftlichen Sachbuch des wohl bestens bekannten israelischen Autors (nur ich kannte ihn nicht, shame on me) wollte ich nicht allzutief einsteigen, dennoch wird meine Rezension zur Entscheidung verhelfen können, ob ihr das Buch auch lesen wollt oder nicht. Am Ende der Rezension findet ihr einen Link zur m.E. besten Rezension, die zur Zeit auf Amazon verfügbar ist. Ehre, wem Ehre gebührt!

„Homo Deus wird Sie schocken. Es wird Sie unterhalten. Und vor allem wird es Sie zum Denken bringen, wie Sie noch nie vorher gedacht haben“, sagt Daniel Kehlmann. Das kann sein. Oder aber: Harari hat Margaret Atwood gelesen !

Deren Maddaddam-Trilogie beschreibt nämlich mehr oder weniger ebenfalls das, was Harari uns über die Zukunft suggerieren möchte: ein kleiner elitärer Teil der Menschheit wird mit allen Schikanen leben, sich mit den modernsten und innovativsten Techniken jung halten oder sogar unsterblich werden, persönliches Glück und Komfort vervollkommnet haben, jedoch gefangen in Compounds leben müssen, weil alle „da draußen“, die Abgehängten, sie sonst in Stücke reißen würden. Ein bisschen ist das heute schon so. Schwerreiche Menschen müssen von eigenen Personenschützern begleitet werden und leben hinter dicken Mauern.

Also, diese Compounds, das beschreibt nur Margaret Atwood. Harari geht an diesem Punkt in eine andere Richtung, bzw. vernachlässigt Revolutionen, Unterdrückung und Kriminalität. Die Endlichkeit von Ressourcen wird ebenfalls nicht behandelt, kaum erwähnt sogar. Was wäre, wenn die Menschheit sich durch die unbegrenzte Ausnutzung aller Ressourcen und aufgrund der Abhängigkeit von Bits und Bytes eines Tages in die steinigste aller Steinzeiten zurückkatapultieren würde? Das ist ein Szenario, das mir momentan das wahrscheinlichere zu sein scheint.

Es sind die Autoren Atwood und Harari, jeder auf seine Weise, Visionäre, Menschen, die spielerisch in die Zukunft schauen und den Leser dabei mitnehmen. Der Autor Yuval Harari analysiert aufgrund der heute vorherrschenden digitalisierten Welt, wohin die Reise der Menschheit insgesamt gehen könnte. Genau wie ein SF-Romancier muss man dabei kühne Thesen in den Raum stellen. Wird die Menschheit sich nicht selbst entsorgen? Etwas Spekulation ist sicherlich immer mit dabei.

Im Prolog, der mir am besten gefallen hat, stellt der Autor manch steile These auf, von denen einige im Schlussteil wieder aufgegriffen werden, er erklärt aber auch, warum aus der Geschichte nichts gelernt werden kann, denn dadurch, dass man geschichtliches Geschehen analysiere, würden die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Konsequnzen sich verändern und anders ausfallen als sie es täten, wenn man das Geschehen nicht analysiert hätte, dieses veränderte Gesamtbild müsste man neu analysieren, wodurch es sich jedoch wieder verändern würde, und so fort. Ergo: Geschichte plus Analyse ist leider nicht statisch.

Zitat:
Sich mit Geschichte zu befassen heißt, bei der Entstehung und Auflösung dieser Geflechte zuzusehen und zu erkennnen, dass das, was den Menschen in der eigenen Epoche als das Wichtigste im Leben erscheint, für ihre Nachfahren völlig bedeutungslos wird.“

Der Autor lässt in in eigener Weise die Gesamtgeschichte des Planeten Revue passieren. Dabei schreibt er für einen Sachbuchautor in sehr eingängiger, einfacher und unterhaltsamer Weise, eindeutig populärwissenschaftlich, was auf der einen Seite reines Vergnügen für den Leser ist, jedoch, wie wir alle wissen, liegt in der Verallgemeinerung leider auch die Abweichung, die Schieflage von der Wahrheit. A propos Wahrheit. Was ist das? Bewusstsein, Denken, was ist das: Eine Folge von Algorithmen. Mit diesem Begriff sollten Sie sich schon einmal vertraut machen, wenn sie "Homo Deus" lesen wollen.

Der Abschnitt Tier und Mensch macht betroffen. Gott sei Dank. Ach ja, Gott ist tot. Sagt Harari. Christentum und Islam hätten sich überlebt. Was bleibt, ist der Mensch, der endlich Gottähnlichkeit erlangt hat. Nicht mehr Homo sapiens, sondern Homo Deus. Und trotzdem nur eine Ansammlung von Daten.

Besonders interessant ist, was heute tatsächlich schon alles machbar ist. Was Google und Facebook längst in Gang gesetzt haben. Dass es den gläsernen Menschen längst gibt. Die moderne Datengesellschaft kennt keinerlei Hemmungen. Was daraus werden wird? Das weiß kein Mensch, auch Harari nicht, wie er unumwunden zugibt.

Aber es ist allemal höchst vergnüglich, darüber zu spekulieren. Sogar notwendig, darüber nachzudenken.

Über gewohnte gedankliche Tellerränder hinauszugucken, unterhält immer gut. Stimmen alle Prämissen? Wahrscheinlich nicht. Es spielt keine Rolle. Man muss die Dinge einmal zu Ende denken, auch wenn sie einige Fehlmessungen enthalten.

Fazit: Absolut leicht zu lesender, gut geschriebener Zukunftsschocker auf Sachbuchebene! Vergnüglich und erschreckend, je nach dem, wie weit man Harari folgen mag. Einige Aspekte fehlen jedoch in seiner Abhandlung.

Kategorie: Sachbuch, 2017
Verlag: C.H. Beck

Eine weit ausführlichere und bessere Rezension zu diesem Buch findet sich bei Jouvancourt auf Amazon:

https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R1G9NJF8JVB433/ref=cm_cr_arp_d...

Kommentare

sphere kommentierte am 07. Juni 2017 um 21:02

Eine sehr gelungene Rezension, die Interesse auf das Buch weckt! Danke!

Emswashed kommentierte am 09. Februar 2019 um 08:04

So, jetzt darf ich ja auch spicken! Dir sind ganz andere Aspekte im Gedächtnis geblieben und man merkt Dir an, dass Du Angst um den Menschen hast.... verständlich, sind wir ja wohl alle welche. Harari distanziert sich da ein wenig und denkt sachlich weiter... Revolutionen sind für ihn nur ein Zwischenspiel. Zum Schluss erst menschelts wieder und er versucht uns mit den "richtigen Fragen" auf die Sprünge zu helfen.

Witzig ist, dass ich Oryx und Crake im Anschluss gerade lese! ;-)

wandagreen kommentierte am 09. Februar 2019 um 08:21

Da bin ich gespannt drauf, ob du dabei Parallelen entdeckst - so wie ich. Oder ob es dir überhaupt gefällt. Ich könnts mir schon vorstellen. Ich war jedenfalls begeistert.