Rezension

Hat seinen festen Platz in meiner "ewigen" Lieblingsbücher-Liste erobert!

Ein Baum wächst in Brooklyn - Betty Smith

Ein Baum wächst in Brooklyn
von Betty Smith

Bewertet mit 5 Sternen

Brooklyn 1912: Alltag und Träume der 11-jährigen Francie …

„Ein Baum wächst in Brooklyn“ von Betty Smith war die Lektüre, die vor sehr vielen Jahren mein erstes „Erwachsenen-Buch“ gewesen ist. Wie alt ich damals genau war, weiß ich nicht mehr und ob ich alles richtig verstanden habe, daran kann ich mich leider auch nicht mehr erinnern... Auf jeden Fall hat es bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen!

Und so ging es mir jetzt erneut: wir begleiten die 11-jährige Francie aus Brooklyn in der Zeit von 1912 bis 1918. Für uns alle eigentlich ein historischer Roman, für die Autorin Betty Smith (1896 – 1972) wohl eher in Teilen eine autobiographische Geschichte, denn „sie wuchs als Tochter deutscher Immigranten in armen Verhältnissen in Brooklyn auf.“ (Klappentext). Das Buch wurde erstmals 1943 veröffentlicht und 1944 für den Pulitzer-Preis nominiert.

Wir Leser*innen sehen die Zeit und Williamsburg (als Teil von Brooklyn /New York) mit den Augen von Francie Nolan, die mit ihrem ein Jahr jüngeren Bruder und ihren Eltern in heute kaum vorstellbarer Armut lebt. In der Woche sammeln beide Kinder Trödel (Lumpen, Papier, Metall, Gummi), um es am Samstagmorgen beim Trödler zu verkaufen. Da herrschen strenge Riten und Gebräuche: der Trödler „mochte Mädchen lieber als Jungen. Mädchen bekommen einen extra Penny, wenn er sie in die Wange kneifen durften.“ (S.12) Deshalb verkauft Francie auch Neeleys Trödel, den „Kneifpenny“ behält sie, vom Rest (16 Penny) geht die Hälfte in die familiäre Bank (eine alte Blechdose), 8 Cent werden unter den Geschwistern geteilt, so dass Francie stolze Besitzerin von 5 Cents ist: „Welch ein wundervolles Gefühl, etwas in die Hand zu nehmen, einen Augenblick zu halten, die Konturen zu spüren, mit der Hand über die Oberfläche zu streichen und es dann sorgsam wieder hinzulegen. Dieses Vorrecht gab ihr der Fünfer. (…) Nach einer Orgie von Berührungen tätigte sie ihren wohlgeplanten Kauf – für fünf Cents rosa-weiße Pfefferminzwaffeln.“ (S. 17) Francie ist auch eine begeisterte Leserin, sie liest die Bücher ihrer Bibliothek alphabetisch – und sie hat den großen Traum, Schriftstellerin zu werden!

Der Stil der Autorin zieht uns in ihren Bann, lässt uns intensiv teilhaben an dem Leben von Francie: mit ihrer Familie, in ihrer Schule, der großen Armut der Familie, Glück und Unglück. Wir leiden und freuen uns mit, sind stolz auf Erfolge, trauern bei Misserfolgen, schmunzeln über witzige Begebenheiten. Ich fühlte mich als Teil der Familie Nolan...

Ausdruck und Schreibstil ist zwar ruhig und sachlich, fesselt aber gewaltig. Das Kopfkino springt immer wieder an und zaubert beim Lesen die entsprechenden Bilder. Der „ganz normale Alltag“ von Francie und ihrer Familie über einen Zeitraum von sechs Jahren wird so intensiv geschildert, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Dieses Buch hat mir auch wieder einmal deutlich gezeigt, dass es sich lohnt, für die eigenen Träume und Überzeugungen zu kämpfen.

Ich wage zu bezweifeln, dass ich als Teenager die vielen Facetten dieses Buches tatsächlich verstanden habe /verstehen konnte. Nun bin ich mir aber sicher, dass „Ein Baum wächst in Brooklyn“ nicht nur zu meinen Jahres-Highlights 2020 gehören wird, sondern es hat einen festen Platz in meiner „ewigen“ Lieblingsbücher-Liste mühelos erobert – eine klarere Leseempfehlung kann es kaum geben!