Rezension

Hauptsache, den anderen geht es gut.

Du wolltest es doch - Louise O'Neill

Du wolltest es doch
von Louise O'Neill

Bewertet mit 3 Sternen

Vorab: diese Rezi enthält Spoiler, weil es mir wichtig ist genau zu erklären, was mir an dem Buch nicht gefallen hat. Selbstverständlich handelt es sich hier um ein wichtiges Thema, das steht außer Frage, nur sollte es auch in letzter Konsequenz die richtigen (wichtigen) Werte vermitteln.
Die ersten Abschnitte sind aber spoilerfrei, ich werde es vorher nochmal explizit erwähnen.

Emma lebt mit ihrer Familie in Ballinatoom. Sie ist eingebildet, oberflächlich und mit ihrem Leben nicht zufrieden. Ihre Freundinnen sind reicher, haben mehr Luxus, großzügigere Eltern. Emma versucht, diese Lücke in ihrem Leben mit ihrer Beliebtheit und Partys zu füllen. Auf einer Party eskaliert die Situation jedoch und verändert Emma und ihr Leben. Was wäre gewesen, wenn? Das fragt sie sich mehr als einmal. Angeblich soll sie mit vier Jungs geschlafen haben - auf den Fotos, die danach überall im Netz kursieren, sieht es jedoch so aus, als ob sie bewusstlos ist. Was ist passiert? Wollte Emma „es“ wirklich?

Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt - vorher und ein Jahr danach. Im ersten Abschnitt ist  Emma ein derart unsympathischer Charakter. Sie ist genervt von ihren Freundinnen, die sich teurere Klamotten kaufen können und ein Auto von Mummy und Daddy gesponsert bekommen. Sie weiß um ihre Wirkung auf Jungs und reizt das schamlos aus: hier ein hervorblitzendes Stück BH (wenn sie überhaupt einen an hat), dort eine „zufällige“ Berührung, sie tut alles um zu gefallen und ist, wie man im zweiten Teil erfährt, auch kein Kind von Traurigkeit. Ihre Freundinnen finden das nicht okay, sind der Meinung, dass sie es herausfordert, trauen sich aber nicht, ihr etwas zu sagen.

Der zweite Abschnitt wendet sich dem victimblaming zu. Nach der Party redet Emma sich ein, dass sie selbst schuld ist. Schließlich hat sie getrunken, Drogen konsumiert, und vor allem hat sie nicht „nein“ gesagt. Dennoch: a dress is not a yes! Das wird hier immer wieder verdeutlicht. Keine Frau ist „selbst schuld“! Egal, wie sie sich anzieht. Man erfährt jedoch, dass die Eltern anderer Ansicht sind und Emma zum Einzelkämpfer wird. Der Umgang mit den Opfern in unserer Gesellschaft wird hier sehr deutlich dargestellt und sollte jedem zu denken geben.

Sprachlich sind diese Abschnitte auch sehr unterschiedlich. Während es vorher überwiegend Gespräche im Teenie-Slang mit ihren Freundinnen gibt, finden im zweiten Abschnitt vermehrt innere Monologe statt. Sie kann nicht an „Es“denken, will es nicht aussprechen. Die Leere und die Einsamkeit, die sie während der Zeit „danach“ empfindet, kann man förmlich durch die Zeilen hindurch spüren.

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Kommen wir nun zu dem, was mir überhaupt nicht gefallen hat.
Nach der Vergewaltigung wirft Emma sich immer wieder vor, die Leben der Eltern, und vor allem die ihrer Vergewaltiger zerstört zu haben, indem sie Anzeige erstattet hat. Im Dorf werden sie und ihre Eltern gemieden. Die ohnehin nicht so gute Beziehung zu ihren Eltern leidet auch: die Mutter ist verhalten, versucht aber, hinter ihrer Tochter zu stehen. Der Vater ignoriert sie vollkommen. Einzig der Bruder steht seiner Schwester zur Seite.
Als der Vater dann beruflich in eine schlechtere Position versetzt wird, steht Emmas Entschluss fest: sie wird die Anzeige zurückziehen, damit alles besser wird. Das fand ich schon unglaublich, denn was sagt das bitte aus? Du bist es nicht wert, dass Du für dich kämpfst? Gib lieber auf, Dein Leben wird zwar nicht besser, aber stressfreier? Du wirst nicht mehr glücklich wegen dem, was passiert ist, aber bitte sieh zu, dass Dein Umfeld wenigstens glücklich ist? Aber das „Beste“ kommt noch: bei diesen Worten fängt Emmas Vater an, aufzublühen. Im Buch steht (sinngemäß): in seinen Augen glimmt wieder Hoffnung auf. Ihre Eltern denken, sie ist selbst schuld. Einzig Bryan sieht das Ganze vernünftig und versucht Emma davon zu überzeugen, den Prozess abzuwarten. Aber ihre Eltern sind der Meinung, dass alles besser wird, wenn sie die Anzeige zurückzieht. Was soll denn noch besser werden? Sie wird immer „das Mädchen aus Ballinatoom“ bleiben. Für ihre Unterstützer das Opfer, für ihre Gegner die, die selber schuld ist und es doch so wollte. Die, die die Leben der angeblichen Vergewaltiger zerstört hat. Sie wird doch dort nicht mehr glücklich werden? Die seelischen Narben bleiben.
Und was ist das für eine Moral? Dieses Ende ist ein Schlag ins Gesicht. Bryan sieht es realistisch: es kommt einem Schuldeingeständnis gleich. Es sieht so aus, als ob sie einfach „nur“ das Opfer sein wollte, als ob sie gelogen hat. Die Eltern müssen sie doch unterstützen, müssen ihr Rückhalt geben und ihr zeigen dass die Anzeige der richtige Weg war. Dass die Jungen ihre Zukunft selber zerstört haben. Sogar Fitzy, der nichts gemacht hat. Ja eben, nichts hat er gemacht! Warum hat er nicht gesagt, die anderen sollen aufhören? Warum hat er nicht vor der Polizei ausgesagt, dass Emma bewusstlos war? Wegschauen ist genauso schlimm!

Letzten Endes hat mir auch gefehlt, dass die Jungs für ihr Verhalten keine Konsequenzen hatten. Das war etwas eindimensional - schließlich hat nicht Emma das Leben der Vergewaltiger zerstört, das haben die ganz alleine gemacht.

Selbstverständlich gibt das Buch auch andere Botschaften mit.
Ein Vergewaltigungsopfer ist niemals „selbst schuld“.
Es gibt immer zwei Seiten einer Geschichte.

Aber es fehlt: Du bist es wert, dass Du für Dich einstehst. Dass Du für Dich kämpfst. Dass Du erhobenen Hauptes dein Leben weiterleben darfst. Und zwar, ohne die Tat zu verleugnen und Dich schuldig fühlen zu müssen.