Rezension

Heimat...

Baba Dunjas letzte Liebe
von Alina Bronsky

Bewertet mit 4.5 Sternen

Baba Dunja ist eine alte Frau, die keine 82 mehr ist, wie sie nicht müde wird zu betonen. Sie lebt in einem kleinen russischen Dorf mit wenigen Häusern, ein Bus ist die einzige Verbindung in die nächstgelegene Stadt, ein Telefon gibt es nicht, Strom nicht immer, dafür blüht und gedeiht das Obst und Gemüse im eigenen kleinen Garten, und im Sommer ist der Tisch immer reichlich gedeckt. Doch die Idylle trügt, denn Baba Dunja hat sich zu einer Ausgestoßenen erkoren - sie ist zurückgekehrt in ihr Heimatdorf nahe des explodierten Reaktors Tschernobyl. Das Dorf in der Todeszone ist ihre Heimat, ihr selbstbestimmtes Paradies.

"Das Gute am Altsein ist, dass man niemanden mehr um Erlaubnis fragen braucht - nicht, ob man in seinem alten Haus wohnen kann, und nicht, ob man die Spinnennetze hängen lassen darf." S. 14

Baba Dunjas Leben scheint frei von Zwängen und größeren Sorgen. Sie genießt jeden Tag, der ihr bleibt, hat losen Kontakt zu den auch nicht mehr jungen Menschen, die nach ihr in das Dorf zurückgekehrt sind und hält gelegentlich einen kleinen Plausch mit den Geistern der Verstorbenen. Baba Dunja interessieren die Geigerzähler nicht oder die Jodtabletten oder ihre Blutwerte. Sie hat mit allem abgeschlossen und möchte den Rest ihres Lebens friedlich und selbstbestimmt dort verbringen, wo die Uhren noch anders gehen und die Hektik der Welt außen vor bleibt. Lebenserfahren und altersweise lebt Baba Dunja genauso, wie sie es für richtig hält und fühlt sich niemandem gegenüber mehr verpflichtet oder verantwortlich. Einzig der Briefwechsel mit ihrer inzwischen in Berlin lebenden Tocher ist ihr noch wichtig.

"Wir sind den Menschen unheimlich. Sie scheinen zu glauben, dass die Todeszone sich an die Grenzen hält, die Menschen auf der Landkarte einzeichnen." S. 45

Alina Bronsky, die mit diesem schmalen Büchlein auf die diesjährige Longlist des Deutschen Buchpreises gelangt ist, skizziert hier eine Welt voller Widersprüchlichkeiten, Menschlichkeit, Pragmatismus und leisem Humor. Aus der Sicht Baba Dunjas erfährt der Leser Einblicke in das dörfliche Leben sowie in die Eigenheiten der teilweise recht wunderlichen Charaktere, die hier eine so seltsame Gemeinschaft bilden, in der doch irgendwie jeder für sich lebt. In wenigen, oft kurzen Sätzen skizziert die Autorin die Widersprüchlichkeit der nahezu idyllisch anmutenden einfachen Lebensweise: Selbstversorger mit eigenem Garten, viel frische Luft, die pure Natur - und dann die unsichtbare tödliche Bedrohung, die jeden vom Näherkommen abhält, der innerlich noch nicht mit dem Leben abgeschlossen hat. Dabei beschönigt die Erzählung nichts - sie macht nur kein Aufheben davon, es ist wie es ist.

"Wenn ich mich in meinem Alter noch über Menschen wundern würde, käme ich nicht einmal mehr zum Zähneputzen." S.62

Neben dem interessanten Gedankenexperiment, wie es wohl wäre, mit einem Komplettverlust von Zukunftsdanken zu leben oder aber auch neben der kulturellen Steinzeit, in die einen dieses Buch versetzt, waren es vor allem die leisen Töne und der von Humor durchsetzte Schreibstil, die mich für die Erzählung eingenommen haben. Ein wenig fehlte mir hier der Tiefgang, vieles blieb lediglich angerissen, kam über den angedeuteten Status nie hinaus. Das war schade, denn gerne hätte ich einige Charaktere oder Entwicklungen weiter verfolgt. Doch insgesamt konnte mir diese leise und nüchterne aber trotzdem liebevolle  Geschichte gefallen.

Alles in allem ein kleines, feines Buch - ebenso wie sein Hauptcharakter leise und ohne Sentimentalität, dennoch mit melancholischem Unterton und gleichzeitig durchsetzt von augenzwinkerndem Humor. Eine Mischung, die mir gefallen hat, der ich allerdings einige Seiten mehr gewünscht hätte.

© Parden